Polen IV – oder: Von Masuren nach Warschau

Wir erreichen Polen zum zweiten Mal auf dieser Reise genau zwei Monate und drei Tage nach dem ersten Mal und auch dieses Mal verläuft der Grenzübergang sehr unspektakulär über eine kleine Straße durch den Wald. Hinter einer Kurve steht ein Schild „Republik Polen – Staatsgrenze“ und fertig. Dahinter sieht es erstmal nicht großartig anders aus als in Litauen, außer dass die Straßenschilder eine andere Sprache sprechen.

Im ersten polnischen Ort sehen wir die Unterschiede dann doch: statt der Holzhäuser, an die wir uns im Baltikum schon lange gewöhnt hatten, gibt es nun wieder Putz an den Wänden. Außerdem werden wir direkt sehr wortreich vom ersten Mann gegrüßt, der uns an seinem Haus vorbei fahren sieht.

Gar nicht so weit hinter der Grenze fahren wir zum Dreiländereck, an dem sich Polen, Litauen und Russland (Kaliningrad) treffen und sehen eine Säule, einige Zäune und sonst nicht allzu viel. Die Zäune befinden sich – wie zu erwarten – an der russischen Grenze, ein Schild warnt vor dem Betreten des Grenzstreifens.

Gingen wir eine Runde um die Säule herum, die den genauen Punkt kennzeichnen soll, an dem sich die drei Länder treffen, würden wir im Grunde schon die Einreisebestimmungen Russlands verletzen, aber das tun wir natürlich nicht. Oder wir tun es doch, verraten es aber nicht im Internet. Wer weiß das schon.

Dafür verraten wir, dass wir uns ab hier auf dem Green Velo befinden. Das ist ein ziemlich neuer Radweg im Osten Polens, den wir uns erstmal mit einigem Gegenverkehr teilen müssen.

Dieser Weg hat für uns den Vorteil, dass wir nun alle zehn bis zwanzig Kilometer einen Rastplatz für Fahrradfahrer finden, der meist über eine Toilette verfügt und immer über eine Sitzgelegenheit. An einem dieser Rastplätze – MOR genannt – schlagen wir an diesem Abend unser Zelt auf.

Anstiege und Seen

Am nächsten Tag wird es nach langer Zeit mal wieder etwas hügeliger. Tatsächlich sind wir zum ersten Mal mit Serpentinen konfrontiert, wenn auch nur für zwei Kurven. Zur Belohnung gibt es immer mal wieder einen Blick auf die Masurische Seenplatte, auf die wir nun zusteuern.

Am Abend wollen wir eigentlich wieder an einem Fahrrad-Rastplatz campen, diesmal hinter der Stadt Węgorzewo, denn der Platz wurde uns unterwegs von einem polnischen Paar empfohlen, das mit dem Fahrrad nach Białystok fährt und die Nächte in einer Hängematte verbringt.

Weil sich der empfohlene Platz allerdings direkt an einem Kreisverkehr befindet und wir es vorziehen, nicht regelmäßig das Gefühl zu haben, ein LKW würde durch unser Zelt fahren, weichen wir aus. Wir beschließen, die Nacht einfach mal auf statt an einem See zu verbringen und stellen das Zelt auf den angrenzenden Steg, der sogar eine sichtgeschützte Stelle hinter dem Schilf für uns bereit hält.

Wir können zwar keine Heringe im Boden anbringen, aber das Zelt steht auch von allein, und die Isomatten erledigen ihren Job auch auf dem Wasser. Es raschelt nachts zwar ein wenig im Wind, kalt ist uns aber nicht.

Bunker I

Am nächsten Tag bleiben wir erstmal auf unserem Steg, tüddeln ein wenig an den Fahrrädern und warten auf unseren Besuch. Wir sind nämlich mit Denis‘ Ma, ihrem Freund und deren Wohnmobil verabredet.

Als wir vollzählig sind, machen wir uns direkt mal auf den Weg nach Mamerki. Das sind die Bunker im Mauerwald, in denen zu Zeiten des Nationalsozialismus das Oberkommando des Heeres sein Hauptquartier hatte. Es ist interessant, diese Anlage mit ihren Ausmaßen zu sehen, auch wenn die Ausstellung mit einer hinter Gittern sitzenden Puppe mit Hitlermaske und Kunstblut auf den Uniformen anderer Puppen nicht gerade vor Seriösität strotzt.

Später, nachdem wir unsere Taschen im Kofferraum des WoMos abgestellt haben und ein weiteres Mal erstaunt darüber sind, wie einfach es sich ohne Gepäck Fahrrad fährt, geht es weiter in Richtung der Stadt Kętrzyn. Dort in der Nähe befinden sich nämlich die Überreste der Wolfsschanze, des Hauptquartier Hitlers zwischen 1941 und 1944. Weil allerdings bereits die Dämmerung eingesetzt hat, beschließen wir, den Besuch auf den nächsten Tag zu verschieben und auf dem Parkplatz der Anlage zu übernachten.

Die Angestellten der Betreiberfirma feiern an diesem Abend ein Fest neben dem Parkplatz. Weil wir die Feierlichkeiten einfach für die übliche Verköstigung der Besucher halten – Suppe, Grill, Getränke, Kuchen -, reihen wir uns einfach in die Veranstaltung ein, sind erfreut darüber, dass wir nichts zahlen müssen, und merken später an den Blicken der anderen Gäste, dass wir eigentlich nicht eingeladen waren. Weil aber niemand etwas sagt und die Speisen mehr als ausreichend vorhanden sind, bleiben wir sitzen und sind am Ende die Letzten im Festzelt.

Bunker II

Als wir am nächsten Morgen frühstücken, sind die ersten Reisegruppen bereits fertig mit der Besichtigung der Anlage. Und als wir auch endlich so weit sind, stehen schon ziemlich viele Reisebusse auf dem Parkplatz.

Wir mischen uns unter die Besucher und schauen uns die Bunker mal etwas genauer an. Weil die Nazis vor ihrem Rückzug versuchten, alle Bunker in die Luft zu jagen – was schwierig ist an einem Ort, der einzig dafür gebaut wurde, dass genau das nicht passieren kann -, sind nur noch unfassbar dicke Mauern und Decken übrig, die wegen Einsturzgefahr nur von außen angesehen werden können.

Wir wollen dem Ganzen hier gar nicht viel Platz einräumen, denn im Hinterkopf haben wir immer noch unseren Besuch am IX. Fort in Kaunas, an dem 50.000 Menschen getötet und verbrannt wurden, was zweifellos auf eine Entscheidung zurückzuführen ist, die an diesem Ort getroffen wurde.

Später drehen wir eine kleine Runde durch das nahe gelegene Kętrzyn und geraten in einen heftigen Regenschauer, vor dem wir uns in eine Bushaltestelle fliehen, bevor wir im nachlassenden Regen weiter fahren und uns an unserer Regenkleidung erfreuen.

Urlaub

In den nächsten Tagen radeln wir kreuz und quer durch Masuren, mal zu zweit, mal zu dritt, mal zu viert. Wir essen Eis in Giżycko, fahren um den See in Ełk und legen einen Tag Pause auf einem tollen Campingplatz ein, der von einem älteren Ehepaar betrieben wird, das über eine Übersetzungsapp mit uns kommuniziert und darauf sichtbar stolz ist.

Außerdem bekommen wir jeder einen Pullover geschenkt, der auf dem Rücken unser Logo trägt und auf der Brust unsere Namen.

Für uns fühlt sich diese Zeit an als wären wir im Urlaub, denn wir müssen unser Gepäck nicht selbst transportieren, uns keine Gedanken um einen Schlafplatz oder das Essen machen und können einfach nur Fahrrad fahren und uns die großartige Umgebung ansehen.

[Ein wenig Angeberwissen zwischendurch: Man sagt nicht „die Masuren“, sondern einfach „Masuren“ als Bezeichnung der Region, so wie man ja auch nicht „die Mecklenburg“ sagt, sondern einfach „Mecklenburg“.]

Am Śniardwy, dem größten See Masurens, übernachten wir an der Spitze einer Halbinsel im See, unweit von einem vergessenen Friedhof, den wir zuvor erkunden. Nur wenige Gräber sind dort noch zu erkennen, die Kapelle hingegen steht noch und im Hintergrund sorgt eine Kuhherde für eine sehr kuhuntypische Geräuschkulisse, die die gesamte Szenerie mit dem nötigen Gruselcharakter versieht.

Weiter zu zweit

Unsere Wege trennen sich schließlich wieder nach einer Nacht auf einem Campingplatz mit großartigem Ausblick an Anikas Geburtstag. Wir haben die Zeit sehr genossen und benötigen den einen oder anderen Meter, um uns wieder an das Gepäck an den Rändern zu gewöhnen.

In den nächsten Tagen haben wir gut gegen den Wind zu kämpfen, der immer genau von vorne kommt und etwas dagegen zu haben scheint, dass wir uns Warschau nähern.

Eine Nacht verbringen wir in einem kleinen Waldstück, das leider voller Müll liegt, was wir in den Tagen zuvor schon häufiger beobachtet hatten. Es handelt sich meist um Plastikmüll, der ganz einfach über den Hausmüll entsorgt werden könnte, scheinbar aber gezielt in den Wald gebracht wird. Dort liegt er dann, bleibt größtenteils unbeschadet und verschandelt das Land, das eigentlich so schön ist.

Unsere letzte Nacht vor Warschau wollen wir an einem kleinen Hafen in der Ortschaft Serock verbringen. Weil wir nicht ganz sicher sind, ob wir dort auf der Wiese einfach campen dürfen, sprechen wir einen Mann an, der am Hafen herum läuft und sich hin und wieder in einen Wohnwagen zurück zieht.

Sein Name ist Slawek, er ist Nachtwächter und hat überhaupt nichts gegen unser Zelt. Er lädt uns sogar auf einen Tee in seinen Wohnwagen ein und bietet uns an, darin zu übernachten. Wir sind gerührt von dieser Geste zwei völlig Fremden gegenüber, lehnen das Angebot aber ab, weil wir ihm nicht seinen warmen Platz in der Nacht nehmen wollen und weil unser Zelt sehr gemütlich ist.

Am nächsten Morgen verabschiedet er uns noch lang und breit und blickt uns aus seinem Wohnwagen heraus nach als wir uns auf den Weg machen.

Großstadt

Dass wir uns schon in der Nähe Warschau befinden, ist bereits am Vorabend deutlich geworden, als am Himmel ein riesiger Lichtkegel flussabwärts zu sehen war, der einfach nicht dunkel werden wollte. Am stetig stärker werdenden Verkehr, der Autobahn und den Orten, die mittlerweile alle ineinander übergehen, merken wir es auch beim Fahren.

Nach einigen sehr unangenehmen Kilometern mit dichtem Verkehr und Baustellen erreichen wir die Weichsel mit dem dazugehörigen Fahrradweg, der uns in die Stadt führt.

Am Abend spazieren wir eine Weile durch die Altstadt und fragen uns, was wir damals eigentlich gemacht haben als wir 2010 schon einmal in Warschau waren, denn an die wenigsten Gebäude und Plätze können wir uns erinnern. Umso mehr gefallen uns die die aufwendig verzierten Gebäude auf dem Marktplatz, die engen Gassen und die Burg.

Für eine Nacht gönnen wir uns mal eine Übernachtung im Hostel – Doppelstockbett im Achterzimmer inklusive allem, was es für eine schlaflose Nacht braucht: Licht, Lärm und Pups. Im Zelt haben wir schon komfortabler genächtigt.

Ein paar Daten

  • Kilometerstand*: 4.377 km
  • Strecke (grob): Gołdap – Węgorzewo – Giżycko – Ełk – Pisz – Maków Mazowiecki – Warschau
  • Übernachtungen: 13 x Zelt, 1 x Hostel
  • Zeitraum: 5. – 18. September 2019

*am Ende dieser Etappe

In eigener Sache

Wie ihr vielleicht wisst, finanzieren wir unsere Fahrradweltreise komplett selbst und haben keinen großen Sponsor, der uns versorgt. Wir haben einen Betrag gespart, mit dem wir erstmal eine Weile leben können. Dennoch werden wir bald versuchen, über unseren Blog einige Einnahmen zu generieren, um die Website am Laufen zu halten und einige Kosten zu decken, die auf der Reise anfallen. Erfahrungen anderer Reisender zeigen, dass man durchschnittlich mit etwa zehn Euro pro Person und Tag rechnen kann, womit dann neben der Verpflegung auch Anschaffungen, Reparaturen, Visa etc. abgedeckt sind. Falls ihr Lust habt, uns dabei zu unterstützen, könnt ihr ganz einfach über [diesen Link] einen selbst bestimmten Betrag per Paypal an uns senden. Wir freuen uns über jeden Euro!

Von Anika

Irgendwas mit Fahrradfahren.

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