Am Dienstag, den 18. Juni 2019, wurde es ernst: Um 11:00 Uhr stand die Wohnungsübergabe an, die letzten Schönheitskorrekturen wurden bis auf den letzten Drücker ausgeführt. Als die Schlüssel dann endlich abgegeben waren und sich unsere Wohnungstür hinter uns schloss, standen wir schon vor unserer ersten großen Herausforderung: die Fahrräder packen. Mangels Zeit hatten wir im Vorfeld die Räder nie voll bepackt und auch nur eine vage Vorstellung davon, wie wir die großen Taschen, die quer über dem Gepäckträger hängen, dort eigentlich befestigen wollen.
Doch mit ein paar Spannbändern und viel Kraft war die Herausforderung schnell gemeistert und um genau 12:05 Uhr war es dann so weit: unsere Weltreise mit dem Fahrrad konnte beginnen.
Also los, raus aus Hamburg, rein in die große Welt, den Abenteuern und der Ungewissheit entgegen… aber erstmal war Mittagspause nach zwei Kilometern am nächsten Supermarkt. Niemand will schließlich in seinen ersten Tag auf Weltreise mit Hunger und schlechter Laune starten. Wir aßen also eine Kleinigkeit, nahmen noch ein bisschen Knabberzeug und Obst für den weiteren Weg mit und wollten uns später unterwegs für den Abend versorgen. Das ist jetzt also unser Leben, von Tag zu Tag planen, nicht zu viel mitnehmen, einfach losfahren.
Tag 1: Hamburg – Bad Schwartau (65 km)
Am Abend unseres ersten Tages waren wir selbst davon überrascht, dass wir 65 Kilometer auf den Tacho gebracht haben. Wir sind einfach losgefahren und über viele kleinere Straßen und Fahrradwege immer weiter in Richtung Norden gelangt. Der Plan war nämlich, über Lübeck an die Ostsee zu gelangen.
Nachdem wir in Reinfeld für den Abend eingekauft hatten, wurden wir ein bisschen überrascht als wir plötzlich über einer Brücke die A 20 überquerten und kurze Zeit später am Ortseingangsschild von Lübeck vorbei fuhren. Das war im doppelten Sinne ein Etappenziel: raus aus dem HVV (Hamburger Verkehrsverbund) und rein ins Gebiet von Karls Erdbeerhof.
Unseren ersten Zeltplatz haben wir in der Nähe von Stockelsdorf am Ende eines Feldweges gefunden, nachdem wir zuvor ein bisschen frustriert waren, dass sich das Wohngebiet, durch das wir fuhren, so ewig weit hingezogen hat. Am Ende des Tages schmeckten der Gin, das Bier und das Abendbrot ganz phantastisch und das mit dem Einschlafen lief ebenfalls wie von selbst.
Tag 2: Bad Schwartau – Boltenhagen (60 km)
Nachdem wir uns aus unserem Wassersack frisch gemacht und wieder alles auf den Rädern verstaut hatten, ging es weiter nach Travemünde, wo wir eine Fischbrötchenpause einlegten und anschließend die Fähre nach Priwall nahmen.
Hinter Priwall waren wir direkt in unserer Heimat Mecklenburg-Vorpommern angekommen und fuhren direkt auf den Ostseeküstenradweg, der von hier bis nach Sankt Petersburg führt und uns für die ersten Wochen und Monate (mit ein paar Ausnahmen) begleiten wird. Ganz bis Sankt Petersburg werden wir nicht fahren, denn wir wollen „schon“ in Estland nach Süden abbiegen. [Hier mehr zu unserer Route]
Obwohl Mecklenburg-Vorpommern unsere Heimat ist und wir viel Zeit in unseren Leben an der Ostsee verbracht haben, waren wir doch sehr überrascht davon, wie hügelig das Land ist und wie sehr uns manche Anstiege aus der Puste gebracht haben. Einer hatte es so sehr in sich, dass wir dahinter spontan eine halbe Stunde Pause machten bis wir einigermaßen abgekühlt waren.
Dennoch genossen wir den Weg, denn es war nie weit bis zum nächsten Strandaufgang, hinter dem sich die Ostsee versteckte und in ihrem besten Sonntagnachmittag-Aufzug leuchtete.
Wir versorgten uns schließlich in Boltenhagen mit allem, was wir für den Abend und den nächsten Morgen brauchen würden, und machten vor dem Supermarkt Bekanntschaft mit einem Herrn, der es sich mit einem Bier, einem Klaren und seiner Musik aus dem Lautsprecher gemütlich machte und mit uns über Gott und die Welt sprach.
Später schlugen wir etwas fluchtartig das Lager auf einem Waldparkplatz hinter der Ostsee auf, weil es zu donnern und regnen begann und wir es besser fanden, ein Dach über dem Kopf zu haben.
Tag 3: Boltenhagen – Kühlungsborn (62 km)
Der nächste Morgen begann bilderbuchmäßig mit einem Bad in der Ostsee statt unter der Dusche und einem Frühstück am Zelt statt im Büro. Nachdem die Räder gepackt waren, was immer noch deutlich länger dauert als wir regelmäßig planen, ging es ganz gemütlich nach Wismar, wo wir die eine oder andere Pause einlegten und uns für den Tag versorgten.
Wir fuhren an diesem Tag viel auf asphaltierten Radwegen neben den Landstraßen und quälten uns über die Hügel des Landes, während wir regelmäßig von E-Bikes überholt wurden. Meck-Pomm ist voll mit Menschen auf motorisierten Fahrrädern, was sehr schade ist, weil die meisten der E-Bike-Nutzer nicht auf die motorisierte Unterstützung beim Fahren angewiesen sind. Klar, für ältere oder eingeschränkte Menschen sind diese Räder ein Segen, aber die meisten führen mit ihrem Motor den umweltschonenenden und sportlichen Hintergrund des Fahrradfahrens ad absurdum.
Sei es drum, wir fuhren mit unserer eigenen Muskelkraft und schwer bepackt am frühen Abend nach Rerik, um einen Abstecher zur Seebrücke und an den Yachthafen zu machen und eine Pause einzulegen.
Später fanden wir einen großartigen Platz für unser Nachtlager hinter einer Düne direkt am Strand. Obwohl wir den Ort als sehr abgelegen empfanden (am nächsten Morgen merkten wir, dass wir direkt am Rand von Kühlungsborn waren), waren noch einige Leute vor Ort, aber wir versteckten unser Zelt ein wenig abseits hinter ein paar Sträuchern.
Tag 4: Kühlungsborn – Warnemünde – Lambrechtshagen (60 km)
Weil wir nicht damit gerechnet hatten, dass es in der Nacht regnen würde, hatten wir am Vorabend unsere Handtücher und die verschwitzten Sachen kreuz und quer zum Trocknen ausgelegt, was sich am nächsten Morgen nicht unbedingt als unsere beste Idee der Woche erwies. Aber das ist wohl das Berufsrisiko als Weltreisender, dass man am Morgen auch mal besonders lange beim Frühstück und danach an einem wunderbaren Ort am Strand sitzen bleiben muss, um drauf zu warten, dass die Sachen in der Sonne trocknen. Wir haben es auch echt nicht immer nur leicht.
Als die Sachen einigermaßen getrocknet waren, brachen wir auf, durchquerten Kühlungsborn und Heiligendamm und verließen die Ostsee erstmal wieder. Wir hatten nämlich das Angebot, bei einem Freund von Anikas Bruder in Lambrechtshagen zu übernachten und zu duschen, was wir natürlich sehr gern annahmen, denn es sollte die erste Dusche seit Hamburg werden.
Wir ließen die Taschen in Lambrechtshagen und fuhren auf was sich für uns anfühlte wie die leichtesten Fahrräder der Welt nach Warnemünde, um dort das volle Programm durchzuziehen: Fischbrötchen, Softeis, Alter Strom, Leuchttürme, Teepott. Und es war großartig.
Später sahen wir das Freundschaftsspiel LSG Elmenhorst – F.C. Hansa Rostock im Elmenhorster Möwennest, quatschten mit ein paar Leuten und mussten ein paar Mal versichern, dass wir nicht überfallen wurden, sondern die Taschen trocken und sicher in Lambrechtshagen standen.
Tag 5: Lambrechshagen – Rostock – Laage (52 km)
Schon lange vor unserer Reise hatten wir die Idee, eine Runde mit dem Fahrrad durch das Ostseestadion zu fahren, um uns von dem Ort zu verabschieden, den wir über viele Jahre hinweg alle zwei Wochen aufgesucht haben, um dort zu feiern, zu heulen, uns zu langweilen und allem, was das Fanleben dazwischen noch zu bieten hat.
Über einen Bekannten (Danke, Matthias!) kam der Kontakt zum Verein zustande und schließlich auch die Möglichkeit, im Rahmen des Fan- und Familientags des F.C. Hansa eine Runde durch das Stadion zu fahren.
Nachdem wir schließlich noch ein Interview für Hansa-TV und die Ostsee-Zeitung [Klick] gegeben und ein Abschiedsgetränk mit Anikas Familie auf dem Parkplatz genommen hatten, fuhren wir kurz in die Innenstadt und schließlich nach Osten aus der Stadt heraus.
Ab jetzt fuhren wir allerdings nicht mehr an der Ostsee entlang, denn wir nahmen Kurs auf die Müritz, weil wir Denis‘ Mutter und ihren Partner in Waren an der Müritz besuchen wollten. Die Wege waren hier nun leider nicht mehr asphaltiert und noch hügeliger als an der Ostsee, was doppelt schweißtreibend war und nicht unbedingt zu einer Verbessung der Laune führte.
Dafür fanden wir hinter Laage auf einem Feld einen tollen Platz für unser Zelt, wo wir fluchtartig alles stehen und liegen ließen, um uns Abendbrot zubereiten, weil wir plötzlich unfassbar großen Hunger hatten.
Tag 6: Laage – Teterow – Neu Schloen (70 km)
Der Tag fing denkbar schlecht an, denn die Kartusche von dem Gaskocher, den wir noch von einem früheren Campingausflug hatten, war endlich aufgebraucht, aber unser Benzinkocher streikte. Wir versuchten eine ganze Menge, bekamen das Gerät aber nicht an, sodass es statt süßem Reis mit Trockenfrüchten nur etwas Obst und Zwieback zum Frühstück gab.
Weil wir mit dem Kocher zu lange rumgetüddelt hatten, wurde es langsam zu spät, um die Verabredung mit einer Freundin von Denis über die etwas längere Fahrradroute rechtzeitig zu erreichen. Deshalb strampelten wir schließlich gegen den Wind und gefühlt nur bergauf über die Bundesstraße, was wir uns in Zukunft möglichst ersparen wollen.
In Teterow lernten wir von einem Anwohner, dass die Stadt das geografische Zentrum Mecklenburg-Vorpommerns ist, erreichten aber rechtzeitig den vereinbarten Ort. Später besuchten wir Denis verstorbenen Vater auf dem Friedhof und seine Frau im Haus ihrer Tochter in der Nähe.
Weil wir mit unserem streikenden Kocher kein Abendbrot kochen konnten und wir an einem Sonntag auch keine großartige Möglichkeit hatten, uns anders zu versorgen, beschlossen wir, die verbliebenen 40 Kilometer bis Neu Schloen zu Denis‘ Mutter durchzuziehen, um uns in den nächsten Tagen in Ruhe um das Problem kümmern zu können.
Die Wege waren weiterhin nicht besonders gut und bestanden zu großen Teilen aus weichem Sand und Schotter, was das Fahren, vor allem bergauf, wirklich sehr mühsam macht. Dazu kam, dass diese Straßen keineswegs so unbefahren sind, wie ihr Zustand es vermuten lassen würde, sondern immer wieder Autos durchgelassen werden mussten, weil die Fahrbahn meist nur einspurig war.
In Neu Schloen wurden wir allerdings schon ein paar Straßen vor dem Ziel in Empfang genommen. Und ein Belohnungsbier lag außerdem auch schon im Kühlschrank.
Tage 7 – 9: Neu Schloen + Waren (59 km)
Die Tage bei Denis‘ Mutter und ihrem Partner haben wir sehr entspannt verbracht und jeweils mit einem Frühstück wie im Hotel begonnen. Von dem, was wir uns vorgenommen hatten, zu erledigen, haben wir tatsächlich ein paar Dinge abgearbeitet, die wir uns vorgenommen haben. Ansonsten haben wir viel Zeit mit Denis‘ Familie verbracht, sind beim Stand Up Paddling nicht in die Müritz gefallen und haben uns nicht hetzen lassen.
Die ersten Tage unserer Weltreise fühlten sich bisher noch nicht wie ein neues Leben an, sondern wie ein Urlaub in der Heimat, den wir auf dem Fahrrad verbringen, um einen anderen Blick auf Bekanntes zu bekommen.
Morgen werden wir uns wieder auf die Fahrräder setzen und über Neubrandenburg nach Eggesin Anikas Familie fahren.
Ein paar Daten
- 428 km insgesamt
- Strecke (grob): Hamburg – Lübeck – Rostock – Waren
- Länder: Deutschland
- Übernachtungen: 5x Zelt, 3x Wohnmobil
In eigener Sache
Wie ihr vielleicht wisst, finanzieren wir unsere Fahrradweltreise komplett selbst und haben keinen großen Sponsor, der uns versorgt. Wir haben einen Betrag gespart, mit dem wir erstmal eine Weile leben können. Dennoch werden wir bald versuchen, über unseren Blog einige Einnahmen zu generieren, um die Website am Laufen zu halten und einige Kosten zu decken, die auf der Reise anfallen. Erfahrungen anderer Reisender zeigen, dass man durchschnittlich mit etwa zehn Euro pro Person und Tag rechnen kann, womit dann neben der Verpflegung auch Anschaffungen, Reparaturen, Visa etc. abgedeckt sind. Falls ihr Lust habt, uns dabei zu unterstützen, könnt ihr ganz einfach über [diesen Link] einen selbst bestimmten Betrag per Paypal an uns senden. Wir freuen uns über jeden Euro!