Türkei V – oder: Kulturschock, Familienbesuch und die Nummer Eins der Schweiz

Zum Warmwerden geht es an diesem Morgen direkt mal ein paar Kilometer ausgiebig bergauf. Und damit es nicht langweilig wird, verfolgt uns ein Gewitter, das uns immer näher auf die Pelle rückt und einen gewissen Geschwindigkeitsvorteil hat, weil es halt nicht mit vierzig Kilo Gepäck bergauf strampeln muss.

Vorsicht, Hund!

Bergab geht es später durch einen kleinen Ort, in dem ein Hund auf uns wartet, was nun keine große Neuigkeit für uns ist, denn es wartet quasi überall ein Hund auf uns. In der Türkei sind die Tiere in der Regel ziemlich entspannt und auch dieser hier bellt nicht mal als Denis an ihm vorbei fährt. Als Anika ein paar Minuten später kommt, läuft er ein paar Schritte neben ihr her und beißt ihr vollkommen ohne Vorwarnung in die rechte Wade.

Der Biss geht nicht ins Fleisch und ist auch sicherlich nicht das stärkste, was der Hund drauf hat, tut aber trotzdem erstmal weh. Der Hund bekommt daraufhin einen Tritt auf die Nase, der ihn sichtlich verwirrt. Als Anika anhält und den Hund lautstark darauf hinweist, dass sie mit seinem Verhalten nicht einverstanden ist, werden natürlich die Leute in den umliegenden Geschäften auf die Situation aufmerksam und verrenken sich die Hälse, um zu sehen, was da draußen vor sich geht. Wie so oft, kommt aber niemand auf die Idee, mal heraus zu kommen und zu fragen, ob alles in Ordnung wäre. Vielen Dank auch.

Aussicht und Regen

Der Rest des Nachmittags ist von Regen, Gegenwind und grandiosen Ausblicken geprägt, denn die D400, der wir bis Antalya folgen, verläuft jetzt erstmal eine ganze Weile zwischen Küste und Bergen entlang. Das Meer strahlt in einem tiefen Blau, die Berge formen atemberaubende Klippen und hin und wieder findet man sogar mal einen kleinen Strand.

Zuerst ist es ganz lustig, gegen den Regen und Wind zu fahren, denn es geht mehr bergab als -auf. Später kommen immer mehr kurze, aber ziemlich steile Anstiege auf uns zu, der Wind wird stärker und der Regen bleibt so hartnäckig auf der Brille hängen, dass von den grandiosen Ausblicken nicht mehr so viel zu sehen ist. Ab da macht es nicht mehr so viel Spaß.

Unser Tagesziel ist die Stadt Kaş, in der es einen kostenlosen Campingplatz geben soll, den wir allerdings nicht finden können. Der kostenpflichtige Campingplatz am Stadtrand nimmt keine Gäste auf, obwohl dort zwei Leute arbeiten und wir mal wieder keine Ahnung haben, was die eigentlich den ganzen Tag machen.

Pause

Weil es sich mittlerweile richtig schön eingeregnet hat, wir hungrig sind und frieren, suchen wir uns ein Hotel und entscheiden spontan, zwei Nächte zu bleiben. Das stellt sich als die genau richtige Entscheidung heraus, denn der nächste Tag ist genauso regnerisch, weshalb wir das Haus nur für einen kurzen Spaziergang zum Hafen verlassen.

Den Rest des Tages warten wir auf das Ende des Stromausfalls, schauen Hansas Heimspiel gegen Chemnitz und kochen uns Kaffee im gewohnten Camperstyle, weil der Elektroherd Pause macht.

Einer der Gründe, warum wir uns den Tag frei genommen haben, war die Tatsache, dass wir den zehn Kilometer langen Anstieg hinter Kaş ein wenig vor uns her schieben wollten. Mit entspannten Beinen, der richtigen Musik im Ohr [Die Playlist beginnt an diesem Tag mit dem Klassiker „Don’t worry, be happy“.], strahlendem Sonnenschein und einem letzten Blick auf Kaş läuft es dann am nächsten Tag doch besser als erwartet. Trotzdem sind wir bis in den Nachmittag hinein erstmal gut beschäftigt.

Dafür geht es dann dann am Abend natürlich wieder ebenso weit bergab mit einem atemberaubenden Ausblick auf die Stadt Demre, das Meer und den Sonnenuntergang.

Wachhunde und Gewächshäuser

Wir campen an diesem Tag am Stadtrand hinter einem kleinen Waldstück, wo wir am nächsten Morgen feststellen, dass uns über Nacht zwei Wachhunde zugelaufen sind. Die beiden sind ziemlich groß, aber unglaublich verspielt, halten sich immer in unserer Nähe auf und bellen ein Auto an, das sich in den Wald verirrt. Wie das so ein Wachhund eben macht.

Glücklicherweise laufen sie uns nicht hinterher als wir nach dem Frühstück aufbrechen, sodass wir ganz entspannt durch die Gewächshausviertel der Stadt fahren können. Die Gegend um Antalya herum gehört zu den am dichtesten mit Gewächshäusern bebauten Gebieten der Welt und die Wohnhäuser sind hier im Viertel auch ganz eindeutig in der Unterzahl.

Nachdem wir Demre verlassen haben, verbringen wir den Tag wieder bei schönstem Wetter auf der Straße an der Küste mit Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Berge im Hinterland, die uns immer noch vorkommen als wären sie aus einer anderen Welt.

Die Gegend wird langsam merklich touristischer, es gibt deutlich mehr Restaurants und Hotels und wir werden immer öfter aus Russich angesprochen und sehen russischsprachige Werbung in den Geschäften.

Übernachtungsgäste im Park

Am Rand der Stadt Kumluca finden wir einen Park hinter dem Strand, in dem wir gern übernachten möchten, also fragen wir einen älteren Türken, der mit dem Wohnmobil da ist, ob er meint, dass wir hier irgendwo unser Zelt aufschlagen könnten. Der Herr ist direkt euphorisch, sagt, dass wir hier überall zelten können, wo wir wollten, und zeigt uns die Duschen im Toilettenhäuschen, in denen es sogar warmes Wasser geben soll.

Wir freuen uns natürlich darüber, halten es aber für empfehlenswert, nochmal beim Parkmanager [Ja, sowas hat hier fast jeder Park.] nachzufragen, der mit etwas weniger Euphorie auf unsere Idee reagiert. Nach einer kurzen Verhandlung mit unserer Wohnmobilbekanntschaft willigt der Manager schließlich ein, dass wir das Zelt auf eine der betonierten Flächen an den Picknicktischen stellen können, was nicht die schlechteste aller Lösungen ist. Denn damit haben wir neben einem Schlafplatz sogar eine bequeme Sitzgelegenheit für Abendbrot und Frühstück, die wir im Wald oder am Strand in der Regel eher nicht finden.

Wir bedanken uns beim WoMo-Mann für seinen Einsatz und müssen ihm versprechen, dass wir türkisch sprechen, wenn wir das nächste Mal in die Türkei kommen. Na klar, kein Problem!

Als wir nach einem Strandspaziergang zurück zu unserem Picknicktisch kommen, müssen feststellen, dass die Katzen, die hier im Park leben, auf Erkundungstour durch unser Zelt gegangen sind und es eine von ihnen wohl ziemlich cool fand, am Innenzelt hochzuklettern. Das finden wir wiederum nicht ganz so cool, denn jetzt haben wir viele kleine Löcher von den Krallen im Innenzelt.

Viel bleibt uns allerdings nicht dagegen zu tun, denn wir sind gegen die Katzen eindeutig in Unterzahl. Weil wir nachts viel Geraschel um uns herum hören, leuchten wir einmal mit unseren Stirnlampen aus dem Zelt heraus und sehen bestimmt dreißig Augenpaare, die auf uns gerichtet sind. Für die Katzen ist das Zelt nicht nur ein interessantes neues Kletterobjekt, sondern auch eine gute Möglichkeit, sich nachts ein wenig vor der Kälte zu schützen. Nach ein paar Revierkämpfen haben sich zwei Sieger ergeben, die eine Übernachtung im Vorzelt gewonnen haben.

Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast

Wie so oft dieser Tage geht es auch am nächsten Tag wieder mal über einen Berg, der uns, oben angekommen, aber mit einem grandiosen Ausblick auf die höheren Berge belohnt, an dem wir nicht anders können als eine Pause einzulegen.

Nach einer langen, aber unangenehmen, weil schlaglochbesetzten Abfahrt mit einem Platten erreichen wir den Strand der Stadt Çamyuva, der ohne Probleme als Kulisse für einen Endzeit-Thriller herhalten könnte: verlassene, heruntergekommene Hotels, geplünderte Strandbars, ein Schild, das das Betreten auf Englisch und Russisch verbietet und selbst schon arg in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Hier hat das mit dem Tourismus offensichtlich nicht ganz so gut geklappt wie andernorts, was wohl unter Umständen damit zusammen hängen könnte, dass die Sonne hier aufgrund der Lage an der Ostseite eines Berges über eine Stunde früher untergeht als in den ungeplünderten Orten, und dass die Luft hier so feucht ist, dass das Zelt am nächsten Morgen aussieht als hätte es die ganze Nacht geregnet.

Wir wissen es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber es soll unser letzter Camping Spot in der Türkei werden, obwohl wir uns noch fast zwei weitere Monate im Land aufhalten werden. Dazu passt es ganz gut, dass wir am nächsten Morgen mit dem Sonnenaufgang am Strand sitzen und in Ruhe frühstücken können, die Horrofilmkulisse im Rücken und damit außer Sichtweite.

Kulturschock

Eigentlich hätten wir noch ein paar Tage Zeit, nach Belek zu fahren. Wir sind allerdings schon seit Tagen bemüht sind, so wenige Kilometer wie möglich zu machen, um bloß nicht zu früh anzukommen, was irgendwie anstrengender ist als jeden Tag acht Stunden auf dem Rad zu sitzen. Deshalb klären wir mit unserem Vermieter, dass wir drei Tage früher in unser Haus einziehen können, und nehmen uns vor, die letzten achtzig Kilometer an einem Tag durchzuziehen.

Außerdem ist heute noch ein besonderer Tag für uns: es ist der 18. Dezember 2019 und damit sind wir seit genau einem halben Jahr mit unseren Fahrrädern unterwegs.

Bis Mittag haben wir es nach Antalya geschafft, wo wir gemütlich auf dem Radweg an der Promenade entlang fahren und die anderen Radfahrer beobachten können. Obwohl wir an die zwanzig Grad und strahlenden Sonnenschein haben, ist man hier sichtlich bemüht, sich nicht dem Wetter, sondern der Jahreszeit entsprechend zu kleiden. Im Dezember bedeutet das: lange Kleidung, Mütze, Jacke. Unser Favorit ist ein Mann in einem Regenponcho aus Plastik, der sogar die Kapuze unterm Helm trägt. Mit unseren T-Shirts und den hochgezogenen Hosenbeinen fühlen wir uns hier fast ein wenig unpassend gekleidet.

Zwischen Antalya und Belek erleben wir dann am Nachmittag den ersten richtig großen Kulturschock auf dieser Reise. Aus unserem kleinen Paradies mit den leeren Schildkrötenstränden und niedlichen, bunten Orten kommend, sind die riesigen, abgeschirmten Hochhäuser der Hotelanlagen und die unzähligen Malls mit ihren scheinbar identischen Ständen mit Markenfakes aller Art ein krasser Bruch in unserer Wahrnehmung der Türkei.

Wir bekommen den Mund gar nicht mehr zu vor lauter Staunen und Entsetzen über die Hochhäuser mit ihren Türmen, Lichtern und hohen Mauern. Hier und in den umliegenden Orten an der Riviera ist eine riesige Pauschaltourismus-Industrie entstanden, die mit der Türkei als Land und Kulturraum rein gar nichts mehr zu tun hat und Eins zu Eins in jedem beliebigen Land mit Strand und entsprechendem Klima stehen könnte.

Es ist schon ein wenig ironisch, dass wir uns genau diese Region, in der die Türkei am untürkischsten ist, ausgesucht haben, um hier eine einmonatige Pause einzulegen.

Familienzeit

Bevor wir uns aber zu sehr an die Region und ihre eher kalte Art im zwischenmenschlichen Umgang gewöhnen, werden wir von unserem Vermieter und seiner ganzen Familie im Büro bei einem Plausch und Getränk empfangen. Ein paar Verwandte sprechen deutsch und übersetzen für uns und scheinbar alle Verwandten wollen sehen, was das für Leute sind, die mit dem Fahrrad aus Deutschland zu ihnen nach Belek kommen.

Wir bekommen schließlich unser Haus gezeigt und können auf den ersten Blick gar nicht glauben, dass das hier wirklich das günstigste Angebot war. Wir haben genügend Schlafzimmer, um wie geplant unsere Familien zu empfangen, eine offene Küche und einen Pool im Garten. Erst auf den zweiten Blick relativiert sich unsere Wahrnehmung als es am nächsten Tag so stark reinregnet, dass wir mit dem Aufwischen nicht hinterherkommen, um schließlich aufzugeben und die Töpfe und Eimer im Erdgeschoss unter der Treppe positionieren, um das Wasser aufzufangen, das im Obergeschoss durch die Terrassentür strömt.

Trotzdem verbringen wir eine richtig tolle Zeit in Belek. Über Weihnachten und Silvester kommt Denis‘ Familie zu Besuch, mit der wir Weihnachten auf dem Basar, am Strand und im Hamam verbringen und zu Silvester eine Neujahrstorte mit Noel Baba – der türkischen Version des Weihnachtsmanns, der hier erst zu Silvester kommt, weil Weihnachten in der Türkei nicht gefeiert wird – besorgen.

Nur ein paar Tage später kommt Anikas Familie zu Besuch, mit der wir einige Ausflüge nach Serik, Antalya und ins Skigebiet Saklıkent unternehmen. Und weil Anikas Eltern in einem der großen Hotels der Stadt unterkommen, kommen wir einige Male in den Genuss von All-Inclusive-Buffets und -Bars.

Wir sind wirklich sehr dankbar dafür, dass wir so viel Unterstützung von unseren Familien bekommen, dass sie uns sogar besuchen und immer für uns da sind. Und das, obwohl sie vielleicht nicht alle hundertprozentig nachvollziehen können, dass wir all unser Hab und Gut verkauft haben, um mit dem Fahrrad um die Welt zu fahren. Vielen Dank, Leute! Ihr seid der Wahnsinnn!

Die Nummer Eins der Schweiz

Zwischendurch kommt dann auch noch der Grund, weshalb wir uns gerade für Belek entschieden haben, in die Stadt: Eine Woche lang hält Hansa sein Wintertrainingslager in einem der riesigen Sporthotelkomplexe ab. Das bedeutet für uns mal wieder einen festen Tagesablauf mit Weckerklingeln am Morgen, weil die Vormittagseinheit schon um 9:30 Uhr beginnt, und ein paar Testspiele, aus denen hervorgeht, dass wir die Nummer Eins der Schweiz sind. 

Auch wenn die Sportplätze mit den einzelnen Tribünen natürlich nicht mit dem Ostseestadion vergleichbar sind, macht es mal wieder Spaß, Hansa spielen und ein paar bekannte Gesichter auf den Tribünen und in der Sportbar zu sehen.

Am Rande der Trainingseinheiten und Spiele sind wir zudem mit ein paar Medienvertretern ins Gespräch gekommen. Falls ihr Lust habt, zu sehen, was dabei heraus gekommen ist, könnt ihr uns auf [Hansa TV] und in der [OZ] finden. Schon bevor wir in Belek angekommen sind, haben wir zudem ein Interview auf [turus.net] gegeben.

Ein paar Daten

  • Kilometerstand: 9.145 km
  • Streckenverlauf: Patara – Kaş – Demre – Kumluca – Kemer – Antalya – Belek
  • Übernachtungen: 31 x Haus, 3 x Zelt, 2 x Hotel
  • Zeitraum: 13. Dezember 2019 – 18. Januar 2020

In eigener Sache

Wie du vielleicht weißt, finanzieren wir unsere Fahrradweltreise komplett selbst und haben keinen großen Sponsor, der uns versorgt. Wir haben einen Betrag gespart, mit dem wir erstmal eine Weile leben können. Dennoch wollen wir versuchen, über unseren Blog einige Einnahmen zu generieren, um die Website am Laufen zu halten und einige Kosten zu decken, die auf der Reise anfallen. Erfahrungen zeigen, dass man durchschnittlich mit etwa zehn Euro pro Person und Tag rechnen kann, womit dann neben der Verpflegung auch Anschaffungen, Reparaturen, Visa etc. abgedeckt sind. Falls du Lust hast, uns dabei zu unterstützen, kannst du ganz einfach über [diesen Link] einen selbst bestimmten Betrag per Paypal an uns senden. Wir freuen uns über jeden Euro!

Von Anika

Irgendwas mit Fahrradfahren.

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