[Dieser Beitrag enthält einen Link zu einem Online-Shop für Fahrradtaschen – also im weitesten Sinne Werbung, für die wir aber keine Vergütung enthalten.]
Als unsere Fähre im Hafen von Bursa anlegt setzen wir unsere Räder zum ersten Mal auf den Boden eines neues Kontinents. Wir sind jetzt offiziell in Asien und werden hier wohl auch erstmal eine ganz Weile bleiben.
Camping zwischen Steinen und Schafen
Nach einem kurzen Einkauf verlassen wir die Stadt ziemlich schnell und bewegen uns auf Nebenstraßen, die von Olivenbäumen und kleinen Orten gesäumt sind, durch die Region und kommen mit einem älteren Herrn ins Gespräch, der eine zeitlang in Deutschland gearbeitet hat und uns auf einen Kaffee einladen will. Weil es schon zu dämmern beginnt, lehnen wir die Einladung ab, denn wir wollen noch ein Stück voran kommen und uns einen Schlafplatz am Uluabat Gölü, einem See in der Nähe, suchen.
Die Schlafplatzsuche gestaltet sich als deutlich schwieriger als gedacht, denn überall, wo wir ungesehen das Zelt aufstellen könnten, ist der Untergrund dermaßen von spitzen Steinen durchsetzt, dass ans Schlafen dort gar nicht zu denken ist. Wir müssen schließlich mit einem etwas offenerem Platz Vorlieb nehmen, an dem wir am nächsten Morgen Besuch von einem Schäfer samt Schafherde bekommen.
Am Vormittag ist die Sicht erstmal nicht die allerbeste, was aber nicht so schlimm ist, denn wir folgen erstmal einer vielbefahrenen Bundesstraße, auf der es sowieso nicht allzu viel zu sehen gibt.
Auf den Straßen der Türkei
Das einzige, was hier unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt, sind die Attrappen von Polizeiautos, die in regelmäßigen Abständen auf dem Seitenstreifen stehen, um für etwas Beruhigung auf der Straße zu sorgen. Einige von ihnen sind sogar mit einem Solarmodul ausgestattet, das an sonnigen Tagen für Blaulicht auf dem Dach sorgt. Wir werden diese Pappautos auf allen Hauptstraßen in der Türkei finden und irgendwann die verschiedenen Designs von Polizei, Verkehrspolizei und Jandarma unterscheiden können.
An einer Tankstelle, an der wir eigentlich nur kurz eine Schokoriegel-Pause einlegen wollen, müssen wir den Halt leider um einige Minuten verlängern, weil wir zu den Riegeln noch einen Tee geliefert bekommen und man diesen natürlich nicht in Eile trinken kann.
Später verlassen wir die Bundesstraße und folgen erst einem kleinen Pfad neben der Mautstraße, die parallel zur Bundesstraße verläuft und fast komplett leer ist, und biegen schließlich auf einige Feldwege ab, deren Verlauf in der Realität nicht direkt dem auf der Karte entspricht, uns aber irgendwann doch wieder zurück in Richtung Bundesstraße führt.
Vorher halten wir noch in einem kleinen Dorf mit Straßen voller Gänsen, denn wir wollen im örtlichen Laden noch eine Kleinigkeit zu essen kaufen. Auf den ersten Blick ist der Laden leider geschlossen, auf den zweiten Blick steckt allerdings der Schlüssel von außen. Und als wir uns nähern, erhebt sich ein gemütlicher älterer Herr, der auf der Terrasse der benachbarten Teestube Tee getrunken hatte, um uns aufzuschließen und durch die beiden Gänge seines Ladens zu führen.
Wir finden dort nicht alles, was wir eigentlich kaufen wollten, haben aber bereits gelernt, beim Kochen zu improvisieren, sodass wir am Ende alles bekommen, was wir benötigen. Bevor wir weiterfahren können, ist natürlich noch ein Tee mit dem Ladenbesitzer obligatorisch.
Hinter dem Ort finden wir einen Platz in der Nähe des Flusses, an dem wir sichtgeschützt genug Platz, um das Zelt aufzustellen und eine Dusche aus dem Wassersack nehmen zu können.
Ein ganz normaler Donnerstagabend
Den nächsten Tag verbringen wir wiederum auf der vielbefahrenen Bundesstraße, auf der nichts passiert, was uns allzu lange im Gedächtnis bleiben wird. Woran wir uns allerdings noch länger erinnern werden, ist der Abend, den wir bei unserem Warmshowers-Host Yiğit und seiner Familie in der Stadt Balıkesir verbringen.
Yiğit ist Sportlehrer, Fußballtrainer und erzählt gerne und viel. Seine Frau ist ebenfalls Lehrerin, spricht aber leider kaum englisch, und ihr gemeinsamer Sohn ist sehr aufgeregt, verschläft aber fast den ganzen Abend und wird erst dann wieder aktiv als alle anderen schon auf dem Weg ins Bett sind.
Nach dem Abendessen kommen die Nachbarn von gegenüber samt Tochter und Katze zu Besuch und wir unterhalten uns viel über Türken und Deutsche, unsere Reise und darüber, dass türkische Eltern von morgens bis abends um ihre Kinder besorgt sind und sich sogar in die Examensvorbereitungen einmischen, um sicher zu stellen, dass aus dem Kind mal was anständiges wird.
Es ist ein toller Abend, an dem wir viel erzählen, uns wirklich in der Mitte dieser kleinen Abendgesellschaft willkommen fühlen und eine wichtige Fähigkeit erlernen, die für den weiteren erfolgreichen Verlauf unserer Reise ausschlaggebend ist: das unfallfreie Essen von Sonnenblumenkernen.
Von Bäckereien und Tankstellenrestaurants
Am nächsten Morgen lernen wir kennen wie eine Bäckerei auf türkisch funktioniert: man nehme einen großen Steinofen, einen großen Tisch, der als Auslage fungiert, zwei Männer am Ofen, zwei Frauen an der Kasse und fertig. Es gibt keine Auslage hinter Glas, keine Preisschilder, keine Sonderangebote, keine geschmierten Brötchen, nur frische, ofenwarme Teigwaren. Ohne zu wissen, was da eigentlich auf dem Tisch liegt, zeigen wir auf einige Teile, bekommen zwei Çay dazu und ergattern wie durch ein Wunder einen der wenigen Tische, an dem wir essen und das ganze Geschehen um die Auslage herum bewundern können. Es scheint als würde die halbe Stadt hier auf dem Weg zur Arbeit anhalten und sich verpflegen.
Nachdem wir Balıkesir verlassen haben, finden wir uns auf einer Nebenstraße wieder, die sehr unangenehm zu fahren ist, weil sie aus sehr steinigem Asphalt besteht und immer ein wenig bergauf führt – gerade soviel, dass man es nicht sieht, wohl aber beim Fahren merkt.
Weil das Wetter an diesem Tag ziemlich ungemütlich ist und es die ganze Zeit ein wenig nieselt, wollen wir zum Mittag nicht draußen sein und kehren in ein kleines, offensichtlich in die Tage gekommenes Restaurant neben einer Tankstelle ein, das von einem älteren Ehepaar betrieben wird. Während Vaddi hinter der Theke liegt und schläft, steht Muddi in der Küche und kocht das Mittagessen.
Nebenbei bereitet sie für uns Sucuklu Yumurta zu – ein Gericht, das aus angebratener Sucuk (Knoblauch-Rinder-Salami) mit Eiern besteht und in diesem Fall direkt aus der Pfanne gegessen wird. Einfach und super lecker und dazu gibt es Salat, Çay und eine deutlich zu hohe Rechnung.
Nach dem Mittagessen werden die Anstiege dann so steil, dass man sie nun auch sehen kann, was sie allerdings nicht einfacher zu fahren macht. Als es sich dann noch richtig schön eingeregnet hat, will mal wieder ein Reifen geflickt werden. Eigentlich haben wir dafür gar keine Zeit, denn wir wollen spätestens um 17:00 Uhr in Soma sein, wo wir bei Bircan unterkommen können. Nach einem Turbo-Boxenstopp und anschließender Hochgeschwindigkeitsabfahrt schaffen wir es gerade noch pünktlich bei Bircan anzukommen.
Die gastfreundlichste Frau der Welt
Bircan ist eine unglaubliche Frau. Obwohl sie über Nacht im Krankenhaus arbeiten muss und uns überhaupt nicht kennt, bietet sie uns an, dass wir die Nacht allein in ihrer Wohnung verbringen und uns am nächsten Morgen nach ihrer Nachtschicht kennenlernen. Ihr Mann, der in einer Apotheke im Erdgeschoss ihres Hauses arbeitet, aber woanders wohnt, zeigt uns den Weg zu ihrer Wohnung und bringt uns später sogar noch etwas zu essen. Wir sind unglaublich gerührt von dieser offenen und großartigen Art der Gastfreundschaft, dass wir aus dem Dankesagen gar nicht mehr herauskommen.
Am nächsten Morgen lernen wir Bircan in Person kennen, die eine wunderbare positive Ausstrahlung hat und sich beim Frühstückmachen partout nicht helfen lassen will. Sie zaubert uns ein tolles türkisches Frühstück aus vielen frischen Zutaten aus ihrem Garten und von Freunden, schenkt uns zum Abschied sogar noch ein Tuch und einen Schlauchschal und hilft uns, einen platten Reifen zu flicken.
Selten haben wir einen so wunderbaren, gutmütigen und liebevollen Menschen mit einer dermaßen positiven Ausstrahlung wie Bircan getroffen und sind mal wieder überglücklich, dass wir uns auf diese Reise gemacht haben, um genau solche unbeschreiblichen Menschen kennenzulernen.
One-Way-Ticket zur Akropolis
Wir fahren an diesem Tag weiter in Richtung Bergama, das früher mal Pergamon hieß und von dem es heißt, dass hier in der Antike das Pergamentpapier erfunden worden ist, was wohl nicht ganz der Wahrheit entspricht. Tatsächlich befand sich hier ein Zentrum der Pergamentproduktion, was auch heute noch in zahlreichen Geschäften in der Stadt touristisch verarbeitet wird.
Über der Stadt, auf einem Berg, der über einen äußerst steilen Anstieg erreicht werden kann, befindet sich die Akropolis von Bergama. Weil wir keine Lust haben, mit dem Fahrrad nach oben zu fahren, überlegen wir, die Räder am Parkplatz anzuschließen und mit der Gondelbahn auf den Berg zu fahren. Dann aber kommt der Parkplatzwächter mit einer großartigen Idee: wir könnten ein One-Way-Ticket nach oben kaufen, die Fahrräder mit in die Godel quetschen und den Rückweg selbst fahren.
Es ist ein bisschen Arbeit, die Fahrräder zu den Gondeln zu bringen und es ist so eng, dass wir je eine Gondel in Beschlag nehmen müssen, aber am Ende kommen wir vollständig oben an und lungern ein wenig vor der Anlage herum, denn der Eintritt ist uns zu teuer und wir hoffen ein bisschen, dass wir hier oben campen können.
Diese Hoffnung erfüllt sich leider nicht, denn nach einiger Zeit bittet uns der Wachmann, die Anlage zu verlassen, weil sie über Nacht komplett abgesperrt wird. Campen dürfen wir hier oben leider nicht. Das ist zwar schade, aber nicht weiter schlimm, denn der Rückweg geht wie geplant bergab und die Abfahrt im weichen Licht der untergehenden Sonne mit Blick auf die Stadt ist nicht die schlechteste.
Wir fahren noch ein bisschen durch die bunten und belebten Gassen der Altstadt, erledigen unsere Einkäufe in einem kleinen Dorfladen und verlassen Bergama über die Bundesstraße in Richtung Meer.
Zurück ans Mittelmeer
Nach längerem Suchen finden wir schließlich einen Schlafplatz unter einem Baum neben einem Feld, wo wir am nächsten Morgen früh geweckt werden als jemand mit gefühlten achtzig Kilometern pro Stunde nebenan sein Feld pflügt.
An diesem Tag legen wir nicht allzu viele Kilometer zurück, erreichen aber trotzdem ein Etappenziel auf unserem Weg nach Antalya: das Mittelmeer. Nachdem wir es in Griechenland verlassen hatten, sind wir nun wieder dort angekommen. Ein bisschen unerwartet finden wir neben der Straße eine kleine Landzunge, auf der wir bis auf einen einzigen Angler ganz allein sind. Das Zelt kommt ein wenig erhöht auf die Wiese, mit Sichtschutz in Richtung Meer und Straße und wir platzieren uns in der Sonne, wo wir Hansas Auftritt in Kaiserslautern verfolgen.
Nach dem Spiel wird es dunkel und kalt, weshalb wir uns ins Zelt verkriechen und bis zum nächsten Vormittag nicht mehr herauskommen. In der Nacht fängt es nämlich mächtig an zu regnen – und zwar so stark, dass wir davon aufwachen. Das Zelt hält dicht, es wird nichts nass, aber die Tropfen prasseln echt laut aufs Dach. Es geht auch den ganzen nächsten Morgen so weiter, weshalb wir eine kleine Regenpause am Vormittag abwarten, um uns fertig und auf den Weg zu machen.
Regen, Regen, Regen
Das Ziel heute: Izmir. Die Wettervorhersage: Regen. Den ganzen Tag lang. Und tatsächlich fängt es nach einigen Kilometern wieder an zu regnen und hört bis in die Nacht nicht auf. Wir haben zwar gute Regenkleidung dabei, die wir an diesem Tag auch tragen, aber spätestens nach ein paar Stunden ist auch die beste Regenjacke durch.
Zum Glück haben wir in Izmir eine Warmshowers-Familie gefunden, die uns für zwei Nächte aufnimmt, sodass wir die warme Dusche, die am Abend auf uns wartet, den ganzen Tag im Hinterkopf haben, was der Motivation durchaus zuträglich ist.
Bis wir unsere Dusche erreichen, befinden wir uns aber erstmal den ganzen Tag auf einer vielbefahrenen Bundesstraße, auf der wir das Wasser von oben, von unten und von der Seite bekommen. Von oben, weil es regnet, von unten, weil wir das Wasser aufwirbeln, indem wir durch die Pfützen fahren, deren Grund wir nicht sehen, sodass wir immer beten müssen, dass sich darunter kein Schlagloch befindet. Und von der Seite, weil auch die Autos und LKW, die uns überholen, den Pfützen nicht ausweichen können (oder wollen) und uns das Wasser so auch mal direkt ins Gesicht spritzen. Da hilft nur eins: Augen zu und durch.
Bevor wir Izmir erreichen, erreichen wir die 8.000 Kilometer-Marke irgendwo im Regen auf der Bundesstraße nach Izmir.
Radfahren für Fortgeschrittene
Wir wollen Senem nach Feierabend an ihrer Arbeitsstelle treffen, um gemeinsam mit ihr nach Hause zu fahren. Hier kommen wir mal wieder ein wenig unter Zeitdruck, weil das Fahren in der Stadt trotz vorhandener Fahrradwege etwas beschwerlich ist und unsere Route irgendwann von den Fahrradwegen wegführt.
Irgendwann müssen wir die Bahnschienen über eine Fußgängerbrücke überqueren, an der es nur zwei kleine Schwierigkeiten gibt. Die erste: die Fahrräder passen nur hochkant und mit ganz viel drängeln und quetschen in den Fahrstuhl. Die zweite: der Fahrstuhl auf der anderen Seite ist defekt, sodass wir sie dort runter schieben müssen, was eine Menge Kraft, Glück und Zeit beansprucht.
Bei Senems Arbeitsstelle angekommen, machen wir uns gleich auf den Weg nach Hause – sie fährt voraus, wir folgen ihr und versuchen, sie nicht aus den Augen zu verlieren, was gar nicht so einfach ist. Sie brettert nämlich sehr geschickt durch die überfüllten, verregneten, dunklen Straßen ohne Rücksicht auf Verluste oder rote Ampeln. Wir erreichen ihr Heim auf diese Weise deutlich schneller als wären wir allein unterwegs gewesen.
Senems Mann Engin kommt auch nach kurzer Zeit mit der gemeinsamen Tochter Masal nach Hause und nach der ersehnten heißen Dusche wird es ein richtig toller Abend, an dem wir gemeinsam essen, viel über das Reisen und Radfahren erzählen und Masal in der höchsten zugelassenen Lautstärke Atatürks Ansprache an die türkische Jugend performt, die jedes Kind in der Türkei lernt.
Izmir zu Fuß
Den nächsten Tag haben wir uns frei genommen, um uns ein wenig in Izmir umzuschauen, was wir erstmal auf den Nachmittag verschieben, weil es vormittags mal wieder regnet. Wir nutzen die Zeit, um ein paar Dinge zu erledigen und schaffen es endlich mal, das Loch, das diese eine Maus in der Slowakei in unsere Küchentasche gefressen hat, mit zwei großen Plastikflicken zu stopfen.
Während Senem und Masal auf der Arbeit bzw. in der Vorschule sind, ist Engin mit uns zu Hause und arbeitet an den Online-Shop namens Semçanta Bisiklet Çantası, den die Familie nebenbei betreibt. Neben selbst designten Fahrradtaschen verkaufen sie eine Halterung, mit der das Fahrrad an der Wand aufgehangen werden kann, und die den passenden Namen Spider Bike trägt. Eine Live-Demonstration bekommen alle, die Senem und Engin besuchen, denn eins ihrer Reiseräder hängt direkt im Flur hinter der Eingangstür.
Unsere Fahrräder dürfen unterdessen auf dem Balkon stehen und die großartige Aussicht auf die Stadt genießen.
Am Nachmittag verlassen wir dann aber doch noch mal das Haus und nehmen den Fahrstuhl – Asansör genannt -, der die oberen Stadtteile Izmirs mit dem Boulevard an der Küste verbindet, denn Izmir ist eine Stadt, in der man eine ganze Menge Höhenmeter machen kann, wenn man sie durchquert.
Wir spazieren gemütlich zum Uhrenturm und beobachten das Geschehen rund um die tausend Tauben und die älteren Herrschaften, die das Taubenfutter an die Touristen verkaufen.
Basar und Küche
Danach geht es auf den Basar, denn heute Abend sind wir an der Reihe, etwas für alle zu kochen. Es soll nach Möglichkeit etwas typisch Deutsches werden – die einzige Bedingung: wenig oder keine Kohlenhydrate, denn unsere Hosts sind eine No Carb-Familie. So, und dann überlegt sich jetzt mal jeder für sich ein typisch deutsches Gericht ohne Kartoffeln und Schweinefleisch. Genau, so haben wir auch erstmal dagestanden bis jemand auf den grandiosen Einfall kam, eine Käse-Lauch-Suppe mit Rinderhack zu kochen.
Die meisten Zutaten bekommen wir zwar nicht auf dem hiesigen Basar, denn dieser besteht zu einem sehr großen Teil aus Ständen, an denen Lederjacken und Markenfakes gehandelt werden, aber ein kleiner Spaziergang durch die Gassen macht trotzdem immer wieder Spaß.
Unsere Suppe kommt am Abend sehr gut an und trotz vorheriger Skepsis über die viel zu große Menge wird der Topf am Ende leer. Den Schokopudding, den wir aus herkömmlichem Puddingpulver herstellen mussten, weil keine Chia-Samen für einen Low Carb-Pudding aufzutreiben waren, müssen wir aber leider mit Masal allein essen, die daraufhin den ganzen Abend verschläft.
Wir erzählen wieder viel über das Reisen, zeigen einige Fotos von unserem Weg nach Izmir und veranstalten ein Probeliegen auf einer unserer Isomatten. Senem, Engin und Masal planen nämlich auch, auf Reisen zu gehen, bevor Masal eingeschult wird, und holen sich ein paar praktische Tipps.
Bevor wir am nächsten Morgen aufbrechen bereitet uns Engin ein großartiges Frühstück zu. Wir sind in unserer Zeit vor Ort schon große Fans des türkischen Frühstücks geworden, das zu einem großen Teil aus Käse, Eiern, Gemüse und süßen Brotaufstrichen besteht. Der heutige Star unter letzteren ist eine Zubereitung namens Tahin-Pekmez: eine Mischung aus Sesampaste und Weintraubensirup.
Unser Aufbruch verzögert sich nach dem Frühstück dann noch um eine weitere Stunde, weil mal wieder ein platter Reifen zu flicken ist und wir es tatsächlich schaffen, den Flicken zweimal an der falschen Stelle aufzubringen.
Apfelsinen und ein Ukrainer
Deshalb ist es auch schon früher Nachmittag als wir Izmir schließlich doch noch verlassen können. Hinter der Stadt verändert sich die Landschaft merklich, denn die Gegend wird plötzlich viel grüner und am frühen Abend kommen wir im Mandarinen- und Apfelsinenanbaugebiet an, was zur Folge hat, dass wir nun alle paar Meter einen Mandarinenstand an der Straße passieren.
Kurz bevor wir uns auf die Suche nach einem Schlafplatz machen wollen, kommt uns winkend ein anderer Radfahrer aus der anderen Richtung entgegen und wechselt die Straßenseite, um uns ein paar Mandarinen zu schenken und ein wenig zu schnacken. Es ist Dmitri aus der Ukraine, der die Türkei innerhalb weniger Wochen durchfahren will und in den letzten fünfzehn Tagen schon alles gesehen hat, was wir uns für die nächsten zwei Monate vorgenommen haben.
Dmitri ist mit dem Rennrad und beunruhigend wenig Gepäck unterwegs. Er hat an diesem Tag schon über hundert Kilometer zurückgelegt und will noch bis nach Izmir fahren, das vierzig Kilometer vor ihm bzw. hinter uns liegt. Und da merken wir plötzlich, dass man selbst mit dem Fahrrad für unseren Geschmack zu schnell reisen kann. Dmitri hat aber eindeutig eine deutlich sportlichere Motivation als wir und offensichtlich viel Spaß an seiner Reise.
Wenig später suchen wir erst am Strand von Ahmetbeyli einen Schlafplatz, müssen aber schnell einsehen, dass dieses Unterfangen aussichtslos ist, weil einfach viel zu viele Leute am Strand unterwegs sind, keine angemessen sichtgeschützte Stelle zu finden und das Campen hier ausdrücklich verboten ist.
Eine schlaflose Nacht
Kurz hinter dem Ort finden wir allerdings den perfekten Platz etwas oberhalb einer wunderschönen grünen Bucht, an dem wir Zelt und Sonnenuntergang ganz einfach unter einen Hut bekommen können. Es ist zwar nicht möglich, mit Zelt und Fahrrädern bis nach unten an den Strand zu kommen, aber wir finden eine ebene Fläche etwas erhöht im Grün mit einem tollen Blick auf die Bucht.
Trotz der paradiesischen Lage unseres Schlafplatzes haben wir eine sehr unruhige Nacht. Immer wieder hören wir Stimmen in der Nähe unseres Zeltes, was grundsätzlich nichts ungewöhnliches ist, vor allem an schönen Orten und Stränden wie diesem hier. Das unübliche ist hier nur, dass wir in der Dunkelheit kein Licht sehen und daher nicht genau wissen, wo sich die Leute befinden. Weil wir aber immer mal wieder ein Kind husten hören, machen wir uns keine großartigen Gedanken, denn wir halten die Zusammenkunft für eine Familie, von der wir keine Gefahr ausgehen sehen.
Mitten in der Nacht, als wir schon ein paar Stunden geschlafen haben, hören wir dann allerdings wie etwas ganz in unserer Nähe bewegt wird und bekommen im Halbschlaf erstmal Angst um unsere Fahrräder, die nach einem Kontrollblick aus dem Zelt heraus aber noch an Ort und Stelle zu finden sind. Trotzdem ist die Situation nun ungewöhnlich genug, um erstmal wach und aufmerksam zu bleiben.
Etwas später leuchtet dann plötzlich jemand mit einer sehr hellen Taschenlampe auf unser Zelt. Als wir die Tür öffnen, sehen wir draußen einen Mann stehen, der uns das Jandarma-Abzeichen auf seiner Uniform zeigt und uns bedeutet leise zu sein. Er fragt, ob hier Freunde von uns in der Bucht wären, und zeigt an, dass wir uns wieder hinlegen sollten. Als ob das so einfach wäre.
In der Folge hören wir Stimmen rufen und Motorboote an der Küste fahren, dann entfernen sich die Männer von der Jandarma wieder und es ist für den Rest der Nacht Ruhe. Wir wissen es natürlich nicht genau, aber wir vermuten, dass die Stimmen, die wir eingangs gehört haben und nicht lokalisieren konnten, zu einer Gruppe Flüchtlinge gehörte, die sich in der Nacht auf den Weg nach Griechenland machen wollte. Die griechische Insel Samos ist nämlich keine dreißig Kilometer Luftlinie entfernt und am nächsten Morgen finden wir ein zerstörtes Schlauchboot am Strand, das dort zwar schon länger gelegen haben muss, aber doch darauf hindeutet, dass hier Flüchtlingsbewegungen stattfinden.
So schnell wird aus unserem kleinen Paradies der Schauplatz für eines der drängendsten Probleme unserer Zeit. Wie erwähnt, wir wissen nicht ganz genau, was hier in dieser Nacht passiert ist. Aber wir hoffen, dass alle wohlauf sind und niemand durch Menschen verletzt oder das Meer in Gefahr gebracht worden ist.
Weil die Nacht ziemlich wild war, bleiben wir am nächsten Morgen lange liegen, um den verpassten Schlaf nachzuholen, und geben uns keine Mühe, uns beim Frühstück oder Fertigmachen zu beeilen. Stattdessen sitzen wir eine Zeit lang in der Sonne vor unserem Zelt, sind glücklich, dass wir uns aus freien Stücken auf diese Reise machen durften, und genießen den Blick auf die Bucht, die nun wieder ganz ruhig daliegt als wäre nichts passiert, und nehmen schließlich noch ein Bad im Mittelmeer, bevor wir am frühen Nachmittag aufbrechen.
Küstenstraße und alte Steine
Wir haben sowieso nicht vor, an diesem Tag allzu weit zu fahren, denn es soll ins nur zwanzig Kilometer entfernte Selçuk gehen, wo sich die Ruinen der antiken Stadt Ephesos – oder auf türkisch Efes – befinden. Der Weg dorthin führt uns an einem wunderschönen Küstenabschnitt entlang an den Rand der Stadt, wo sich die Ruinen befinden.
Obwohl wir den Eintrittspreis unglaublich hoch finden, kaufen wir uns zwei Tickets und sind froh, dass wir dieses Geld investiert haben, denn diese Stätte ist wirklich sehr sehenswert, wenn auch ziemlich überlaufen. Im Amphitheater, das schon von Weitem auf der Straße zu sehen war, fanden in der letzten Ausbauphase bis zu 25.000 (!) Zuschauer Platz. Und die Klangprobe einer asiatischen Besucherin zeigt auf sehr beeindruckende Weise, wie gut die Akustik hier ist.
Der Rest der Stadt ist ein Meer aus Marmor, Torbögen und vielen alten Steinen. Einige Gebäude sind im Laufe der Zeit komplett zerstört worden, einige andere noch erhalten geblieben – am beeindruckendsten davon ist die Fassade der Bibliothek, die über drei Stockwerke verfügte und unglaublich kunstfertig verziert worden ist.
Der Spaziergang macht viel Spaß und dauert ziemlich lange, weil der Grundriss der Stadt ziemlich groß ist und Platz für eine ganze Menge Tempel und öffentliche Gebäude bereithalten musste.
Nach dem Spaziergang und einem ausgiebigen Abendbrot fallen wir ins Bett unseres Hostels, bevor wir uns am nächsten Tag auf den Weg in eine Grundschule machen und mit einem Lehrer über den Einsatz von Radiergummis an deutschen Grundschulen diskutieren… Aber dazu mehr im nächsten Beitrag.
Ein paar Daten
- Kilometerstand: 8.119 km
- Strecke: Bursa – Balıkesir – Soma – Bergama – Izmir – Selçuk
- Übernachtungen: 5 x Zelt, 4 x Warmshowers, 1 x Hostel
- Zeitraum: 19. – 29. November 2019
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