Türkei I – oder: Über Startschwierigkeiten und das Zeitverschwenden

Als wir am 11. November 2019 in die Türkei einreisen, wissen wir schon, dass es das letzte Land für dieses Jahr sein wird, denn wir wollen Weihnachten und Silvester in der Nähe von Antalya verbringen und sind dort mit unseren Familien verabredet.

Der Start in dieses bisher größte Land unserer Reise ist allerdings etwas durchwachsen. Es beginnt damit, dass wir noch direkt an der Grenze einen platten Reifen flicken müssen. Wir bekommen dabei Hilfe von einem Grenzpolizisten, der uns mit Wasser versorgt, damit wir das Loch im Schlauch schneller finden können. Das ist natürlich echt freundlich von dem guten Mann, aber genervt sind wir schon.

Weiter geht es schließlich damit, dass wir erstmal tagelang auf einer geraden, vielbefahrenen Straße unterwegs sind, von der aus nur braune, abgeerntete Felder zu sehen sind.

Erstmal ankommen

Ein paar erste Eindrücke von den Leuten bekommen wir dennoch. Am Straßenrand liegen gebrauchte Teebeutel statt leerer Bierdosen und viele Autofahrer hupen uns an und winken – das Hupen ist hierzulande nämlich keine aggressive Geste wie in Deutschland, sondern entweder ein Gruß oder ein Hinweis nach dem Motto: „Pass auf, ich überhole dich jetzt.“ Letzteres wird vor allem von LKW-Fahrern gelebt, so als hätte man sie nicht schon seit einer halben Stunde hinter sich gehört.

Auf einen Tipp von einem verhinderten Warmshowers-Host hin campen wir in der ersten Nacht in einem bewachten Park am Stadtrand von Keşan. Der Wachmann muss zwar erst mit seinem Chef telefonieren, zeigt uns dann aber einen Platz, an dem wir das Zelt aufstellen können.

In der Nacht lernen wir dann noch etwas neues kennen, was uns in der Türkei hin und wieder mal begegnen wird: Polizei und Jandarma. Als wir schon eingeschlafen sind, stehen nämlich zwei Mopeds mit Blaulicht vor unserem Zelt und hupen uns wach. Der Park-Wachmann gibt ihnen dann kurz ein Zeichen, dass alles gut ist, und wir dürfen weiter schlafen.

Einen weiteren langweiligen Tag auf der Straße später verbringen wir die zweite Nacht sehr unromantisch auf einem Stück Brachland neben der Straße. Eigentlich hatten wir vorgehabt, noch etwas weiter zu fahren, brechen die Fahrt allerdings nach einem weiteren platten Reifen vorzeitig ab, weil wir nach dem Flicken keine Lust mehr haben, nochmal auf die Räder zu steigen.

Wir hatten in Griechenland ein Set von selbstklebenden Flicken gekauft, die sich nun als vollkommen unbrauchbar erweisen, denn sowohl diese Panne wie auch die an der Grenze ist auf undichte Flicken zurückzuführen.

Ein Tag zum Vergessen

Am folgenden Tag werden wir dann von platten Reifen regelrecht verfolgt. Wir sind nur wenige Kilometer gefahren, als Denis’ Hinterrad wieder Luft verliert, sodass uns nichts anderes übrig bleibt als an einer gut frequentierten Ausfahrt den Reifen zu flicken, der dann zur allgemeinen Erheiterung nach kurzer Zeit erneut beginnt, Luft zu lassen. Das Problem ist jetzt: wir haben keine Flicken mehr.

Es bleibt uns also nichts anderes als weiter zu fahren und alle fünf Kilometer den Reifen aufzupumpen, um die Felge einigermaßen zu schonen. In der nächsten Stadt Tekirdağ wollen wir sofort zu einem Fahrradladen fahren, den wir auf der Karte am Stadtrand gefunden haben, um neue Schläuche und Flicken zu kaufen.

Zuvor führt uns die Navigationsapp allerdings nochmal vollkommen unnötigerweise von der asphaltierten Hauptstraße herunter auf eine hügelige Schotterstraße, die in dieser Situation nicht direkt unsere erste Wahl gewesen wäre, hätten wir vorher gewusst, was kommt.

An dem Punkt angekommen, an dem wir den Fahrradladen erwartet hatten, stellen wir fest, dass wir uns in einer Straße voller Autowerkstätten befinden, in der uns natürlich niemand bei unserem Fahrradproblem helfen kann. Von dem versprochenen Fahrradladen ist weit und breit nichts zu sehen.

Wir pumpen also ein weiteres Mal den Reifen auf und bekommen von zwei Männern einen Punkt auf der Karte gezeigt, an der uns auf jeden Fall geholfen werden kann – nachdem wir die nächsten Straßenzüge erstmal steil bergauf gefahren sind.

In einer Fahrradwerkstatt, die wir unterwegs selbst finden, spricht man zu wenig englisch und scheint nicht schlau genug, um zu verstehen, dass uns keinesfalls damit geholfen ist, den Reifen einfach wieder aufzupumpen.

Unsere Laune wird von Minute zu Minute angespannter, denn wir sind genervt von der Situation, der Unfähigkeit Hilfe zu finden und davon, dass uns so eine Kleinigkeit so unlösbar erscheint. Außerdem ist es laut, der Verkehr ist eng und wir wollen eigentlich noch ein gutes Stück voran kommen.

Ende gut, alles gut…

Schließlich finden wir einen anderen Radfahrer, der uns auf schnellstem und kürzestem Weg – dieser führt das eine oder andere Mal über die Gegenfahrbahn, die entgegenkommenden Autos werden per Handzeichen zum Anhalten aufgefordert – zu dem Laden bringt, der uns an der Autowerkstattstraße gezeigt worden ist. Bei all dem Stress haben wir kaum Gelegenheit, uns über die große Hilfsbereitschaft zu freuen, die uns jetzt zum zweiten Mal auf die richtige Spur gebracht hat.

Am besagten Laden angekommen bekommen wir endlich die ersehnten neuen Flicken und zwei neue Schläuche und können uns in Ruhe um Denis’ Hinterrad kümmern. Der Verkäufer beobachtet uns dabei, erkennt auf den ersten Blick den Hersteller unserer unbrauchbaren Flicken und versichert uns, dass wir da wirklich Mist gekauft haben.

Als dann alle Reifen wieder dicht sind und über den benötigten Druck verfügen und wir uns bei einem Snack am nächsten Imbiss beruhigen konnten, entscheiden wir, an diesem Tag nur noch in einen Park am Stadtrand aufzusuchen, dort das Zelt aufzuschlagen und am nächsten Tag entspannt eine weitere Etappe in Richtung Istanbul in Angriff zu nehmen.

… oder auch nicht

Um zu diesem Park zu gelangen, müssen wir natürlich noch ein paar steile Straßenzüge überwinden und uns durch die engen Straßen der Innenstadt vorarbeiten. Als wir an einer roten Ampel kurz vor unserem neuen Tagesziel stehen, folgt der Höhepunkt des Tages: aus dem Nichts gibt es einen lauten Knall, Staub wird aufgewirbelt und wir müssen feststellen, dass der Schlauch in Denis’ Vorderrad geplatzt ist.

Es ist zum Verzweifeln. In diesem Moment wollen wir eigentlich nur die Fahrräder gegen eine Wand werfen und in ein Taxi zum nächsten Hotel steigen, was natürlich langfristig gesehen für unseren Plan, die Welt mit dem Fahrrad zu umrunden, eher abträglich ist. Also sind wir stattdessen erstmal erleichtert, dass wir einen extra Ersatzschlauch gekauft haben, den wir direkt einsetzen können.

Den anvisierten Park erreichen wir als es bereits dunkel geworden ist. Er ist vollkommen umzäunt und zu unserem Entsetzen ist der Eingang geschlossen. Und da stehen wir nun: vollkommen fertig vom Tag, im Dunkeln, am Rand einer Stadt, die es sich nicht zu verlassen lohnt, weil sich direkt die nächste anschließt. Wir finden schließlich am Zaun des Parks einen Schlafplatz und versuchen, den Tag abzuhaken, um dem nächsten Tag die Chance zu geben, besser zu werden.

Ein neuer Tag

Und obwohl es am Nachmittag zu regnen beginnt und wir keinen Host in der nächsten größeren Stadt Silivri finden, wird er besser. Wir kommen ganz gut voran, haben mittlerweile das Marmarameer erreicht, sodass der Ausblick wieder etwas mehr Abwechslung bereithält, und finden zum Mittag einen quietschbunten Wagen, an dem wir Köfte und Çay bekommen. Zwischendurch fragt uns sogar ein LKW-Fahrer, ob er uns mitnehmen soll, weil Fahrradfahren doch so anstrengend ist.

Als wir im einsetzenden Nieselregen unter einer Brücke Schutz suchen, hält ein Wagen der Stadtreinigung an und die beiden Herren darin bestehen darauf, uns zwei große Säcke auszuhändigen, mit denen wir uns vor dem Regen schützen sollen. Weil unsere Regenjacken ihren Job ganz gut erledigen, ziehen wir die Säcke über die Fahrräder und versichern ein paar Mal, dass es uns gut geht und wir nicht frieren. Diese Freundlichkeit von völlig fremden Menschen beeindruckt uns immer wieder und wird uns fast überall in der Türkei begegnen.

Wir übernachten an diesem Tag erneut in einem Park und bekommen spät abends noch Ärger mit dem Wachmann, der direkt nebenan wohnt, und über ein Missverständnis darüber, wo genau gepinkelt werden darf, sehr außer sich vor Ärger ist. Aber auf die Frage nach der Toilette die Antwort “Problem”, eine Taschenlampe in die Hand gedrückt und den Weg hinters Haus gezeigt zu bekommen, deutet für uns durchaus darauf hin, dass man aufs Feld hinter dem Haus pinkeln soll. Aber offenbar befand sich dort wohl eine Toilette, die wir in der Dunkelheit nicht gesehen haben.

Wir halten dieses Fettnäpfchen zwar für ziemlich peinlich, aber nicht für so schlimm, dass direkt lautstark und wild rumgebrüllt werden muss.

Auch hier gilt wieder: auch wenn wir mit den allermeisten Leuten durchaus positive Erfahrungen gemacht haben, will es einfach noch nicht richtig funken zwischen uns und der Türkei.

Auf nach Istanbul!

Am nächsten Morgen brechen wir vor dem Frühstück auf, denn wir wollen möglichst früh weg von diesem Park und dem alten Mann, der nicht mehr allzu gut auf uns zu sprechen sein dürfte. Stattdessen suchen wir uns einen schönen Platz am Strand für unser Frühstück, an dem wir die Sonne und die Wellen genießen können, bevor wir uns auf den Weg nach Istanbul machen.

Trotz des entspannten Starts wird es der anstrengendste, unangenehmste, nervigste Tag auf unserer Reise. Wir benötigen nämlich quasi den ganzen Tag, um ins Zentrum der Stadt zu gelangen und sind stundenlang unter Hochspannung. Auf einer zweispurigen Nebenstraße, die neben der dreispurigen Hauptstraße verläuft, fahren wir insgesamt sechzig Kilometer an unzähligen Shopping Malls, Bürotürmen und Wohnanlagen vorbei und werden von einer gefühlten Million Autos, LKW und Bussen überholt.

Die meisten Fahrer sind umsichtig und passen auf, dass sie uns nicht anfahren. Eng wird es aber trotzdem sehr oft, weil eine Straße immer so viele Spuren hat wie Autos nebeneinander passen. Und weil ein Fahrrad in diese Rechnung nicht hinein passt, wird es das eine oder andere Mal schon echt knapp. Dazu kommt, dass alle paar Meter ein Bus rechts ran fährt und wir an jeder Auf- und Ausfahrt eine Spur kreuzen müssen. An der Auffahrt, die vom Flughafen kommt, müssen wir bestimmt eine Viertelstunde warten, bevor wir sie überqueren können.

Weil wir so unter Spannung stehen, können wir es abends kaum genießen, dass wir wirklich die Altstadt erreichen, dort durch die Gassen fahren und die Räder durch das Gedränge auf einem großen Freiluftbasar schieben können.

Gastfreundschaft und Visa-Angelegenheiten

Dafür lernen wir am Abend die Gastfreundschaft in Person kennen. Wir kommen bei Adnan unter, der sehr zentral in der Altstadt wohnt und sich rührend um uns kümmert, obwohl wir uns nur brockenweise und über den Translator verständigen können. Wir verbringen einen tollen ersten Abend zusammen, an dem er uns viel über deutsche Filme erzählt und wir uns gegenseitig andere Radreisende zeigen, denen wir über die sozialen Medien folgen. Es ist der Zeitpunkt, an dem wir richtig in der Türkei ankommen und beginnen, das Land wirklich zu mögen.

Adnan nimmt uns für mehrere Tage bei sich auf, weil wir uns wegen der Besorgung unserer Iran-Visa ein paar Tage in Istanbul aufhalten müssen. Wir erreichen die Stadt nämlich am Freitagnachmittag und müssen bis Montag warten, um das Konsulat zum ersten Mal aufsuchen zu können und wir erwarten, dass es danach noch einige Tage dauert bis die Visa ausgestellt sind.

Zuvor hatten wir eine Ablehnung unseres online abgesendeten Visa-Antrags erhalten und als Begründung genannt bekommen, dass wir uns über eine Agentur bewerben sollten. Daraufhin mussten wir dann wohl oder übel eine Agentur dafür bezahlen, die gleichen Daten erneut in das gleiche Formular einzutragen und zu versenden. Einige Tage später haben wir dann eine positive Rückmeldung erhalten, in der man uns mitteilte, dass wir uns mit dem bewilligten Antrag, aktuellen Passbildern und einer Bestätigung unserer Krankenversicherung im Konsulat einfinden sollten, um die Visa zu bezahlen und in Empfang nehmen zu können.

Istanbul at its best

Bevor es aber soweit ist, haben wir noch ein ganzes Wochenende Zeit für Istanbul. Am Samstag muss Adnan arbeiten, weshalb wir allein durch die Altstadt ziehen, um Passbilder zu besorgen, die Versicherungsbescheinigung und den Antrag auszudrucken und uns durch die überfüllten Straßen treiben zu lassen.

Es ist ein großartiges Durcheinander von Geschäften, Straßenständen, Teestuben und Menschen, die kreuz und quer durch die Stadt eilen, um ihre Besorgungen zu erledigen. Es macht unheimlich viel Spaß, die ganzen Läden mit den Fakes, dem Glitzerkram und den vergoldeten Haushaltsgegenständen zu beobachten und zu sehen, dass es hier für jeden Bedarf ein Spezialgeschäft gibt.

Die Passbilder lassen wir bei einem der tausend Fotografen in einer der tausend Häuserzeilen anfertigen und unsere Ausdrucke machen wir in einem Copy Shop, in dessen Obergeschoss ein paar alte Rechner mit Windows XP laufen. Wir müssen lange herumprobieren, bevor wir die richtige Schaltfläche für Schwarz-Weiß-Ausdrucke finden, was ohne einschlägige Sprachkenntnisse gar nicht so einfach ist.

Nachdem wir später an den großen Moscheen gewesen sind und einen ersten Blick über den Bosporus auf Asien werfen konnten, fahren wir mit der Metro in den Stadtteil Taksim, in dem wir uns mit Adnan treffen wollen.

Taksim und der gleichnamige Platz im Zentrum war in der Vergangenheit der Ort, an dem die großen Demonstrationen gegen die Regierung stattfanden, und wir fühlen uns auch direkt in eine davon hineinversetzt – so viele Menschen sind hier unterwegs. Wir haben keine Ahnung, woher sie kommen und wohin sie gehen, aber es müssen tausende sein, die  an diesem Abend die İstiklal Caddesi bevölkern.

Wir treffen Adnan in einer kleinen Bar in einer genauso überlaufenen Seitenstraße und ziehen später weiter zu seinem Arbeitsplatz. Er arbeitet im Café am französischen Konsulat, das sich direkt an der İstiklal Caddesi befindet, aber hinter einer hohen Mauer wie ein Ruhepol inmitten der gewaltigen Menschenmassen wirkt. 

Über das Zeitverschwenden

Den nächsten Tag verbringen wir zusammen mit Adnan und seinem Freund Mehmet. Letzterer will sich ein neues Fahrrad kaufen, weshalb wir gemeinsam mit dem Auto in ein großes Einkaufszentrum außerhalb der Altstadt fahren.

An der Auffahrt zum Parkplatz steht ein Wachmann, der in den Kofferraum jedes auffahrenden Autos schaut. Auf unsere verwunderte Nachfrage antwortet Mehmet: “They are checking if we brought a bomb but they didn’t find it.” [“Sie prüfen, ob wir eine Bombe dabei haben, aber sie haben sie nicht gefunden.”] Was für ein riesengroßer Schwachsinn. Aber dass in der Türkei Menschen für die Verrichtung sehr unnötiger Arbeit bezahlt werden, wird uns noch öfter verwundern.

Wir fahren später im Sportladen alle einmal Mehmets Favoritenrad Probe, verlassen den Laden aber schließlich unverrichteter Dinge, weil er sich am Ende doch nicht ganz sicher ist – und wir ihm davon abgeraten haben, ein Mountainbike zu kaufen, das einen dermaßen breiten Lenker hat, dass er damit niemandem schnell ausweichen kann, was für den Stadtverkehr in Istanbul überlebenswichtig ist.

Später fahren wir zu viert in den Stadtteil Beşiktaş, wo wir einen weiteren Freund namens Ulaş treffen und gemeinsam von Café zu Café ziehen, die leckersten Böreks der Welt essen, Tee und Kaffee trinken und uns über Gott, die Welt und das Leben unterhalten.

Ulaş betreibt ein Café in Sultanahmet und erzählt uns viel darüber, was die Menschen bewegt und wie sie ihre Zeit verbringen. Dabei redet er über die Kaffeehauskultur und sagt über seine Landsmänner: “They like to waste their time.” [“Sie lieben es, ihre Zeit zu verschwenden.”]

In den kommenden Wochen und Monaten werden wir noch sehr oft an diesen Satz denken, denn in der Türkei gibt es kein Dorf ohne Teestube, die bis auf den letzten Platz besetzt ist. Und bei genauerem Hinschauen stellen wir fest: Ulaş hatte recht. Die Leute – vor allem die Männer – sitzen in den Teestuben und verschwenden ihre Zeit.

Unsere kleine Gruppe hat am Abend auch erfolgreich einen ganzen Tag verschwendet und wir haben uns dabei sehr amüsiert, denn Beşiktaş ist ein bunter Stadtteil voller Lokale und gut gelaunter Menschen und das Zeitverschwenden macht hier unglaublich viel Spaß.

Welcome to Iran

Am nächsten Tag ist dann endlich Montag [Wow, dass wir das mal schreiben…] und wir können das iranische Konsulat aufsuchen, um unsere Visa-Anträge voran zu bringen. Die Besuchszeit des Konsulats beginnt um 14:00 Uhr und bereits um 13:30 Uhr hat sich eine Menschentraube vor dem schweren Eingangstor versammelt. Hin und wieder klopft mal jemand an das Tor, woraufhin geöffnet und auf die Besuchszeit um 14:00 Uhr hingewiesen wird. Überraschend pünktlich wird das Tor beim Klopfen um 14:00 Uhr tatsächlich geöffnet und wir schaffen es, uns mit dem ersten Schwung Besucher durch den Eingang zu quetschen.

An einem Tresen werden die Handys gegen eine Pfandmarke getauscht und Anika bekommt ein Kopftuch aus dem Kopftuch-Sammelbehälter, damit sich sich endlich anständig kleiden und ihre Haare bedecken kann.

Anschließend geht es weiter in einen Raum mit vier Schaltern, einer ganzen Menge Warteplätze und einem Nummern-Automaten. Deutsche wie wir sind, ziehen wir eine Nummer und setzen uns auf eine der Bänke im Wartesaal in der Erwartung, zeitnah aufgerufen zu werden. Nach wenigen Minuten müssen wir allerdings feststellen, dass das hier alles anders läuft. Um dranzukommen, drängelt man sich nämlich an den Schalter, der für das eigene Anliegen zuständig ist. [Das Wort “Visa” steht zum Glück in lateinischen Buchstaben zwischen den vielen Worten in Farsi.] Der nächste in der Reihe ist immer der, der seinen Antrag als nächstes vor dem Beamten platzieren kann. An Datenschutz oder Geheimhaltung ist in keiner Weise zu denken.

Wir sind ganz gut im Drängeln und haben zumindest zwei lange Arme, weshalb wir auch relativ zügig an die Reihe kommen. Der Beamte prüft erstmal nur Pässe und Antragsdokumente – nach Passbildern und der Versicherungsbestätigung fragt er nicht – und gibt uns einen kleinen Zettel, auf dem er handschriftlich “75 € X 2” vermerkt. Bevor es weitergeht, müssen wir in der Bank auf der anderen Straßenseite die Gebühren für die Visa bezahlen und einen Beleg darüber abgeben.

Eine Bezahlung per Kreditkarte ist in diesem Finanzinstitut nicht möglich, weshalb wir das benötigte Geld mit der Kreditkarte am Geldautomaten ebenjener Bankfiliale abheben, um es dann direkt am Schalter abzugeben. Die Wege der Bürokratie sind unergründlich.

Wie lang sind zehn Minuten?

Als wir mit unserem Einzahlungsbeleg vor dem Tor des Konsulats stehen, öffnet niemand auf unser Klopfen, weshalb wir erst wieder hinein kommen, als jemand anderes heraus kommt. Wir tauschen also wieder Smartphone gegen Kopftuch, geben den Beleg am Schalter ab und bekommen gesagt, dass wir uns für zehn Minuten hinsetzen sollen.

Nach mehr als einer Stunde sind die zehn Minuten rum und wir drängeln uns wieder mit allen anderen an den Schalter. Wir wissen nicht so genau, was jetzt noch passieren wird, denn wir haben ja unsere Passbilder und die Versicherungsbestätigung noch nicht abgegeben, die wir auf jeden Fall dabei haben sollten. Und an dem Aushang vor dem Konsulat, der über die Visa-Vergabe informiert, ist eine Wartezeit von drei bis vier Tagen angegeben, auf die wir uns bereits eingestellt haben.

Wir sind dementsprechend nicht wenig erstaunt, als wir nach unserer einstündigen Zehn-Minuten-Wartezeit tatsächlich unsere Visa in der Hand halten. Nach allem, was wir zum iranischen Visaverfahren gehört und gelesen haben, hätten wir mit allem gerechnet, aber definitiv nicht damit.

Fische und Fähren

Wir sind natürlich froh über den Verlauf unseres Konsulatbesuchs und nutzen den restlichen Nachmittag, um einen Ausflug an die Galata-Brücke mit ihren Anglern und Touristenfähren zu unternehmen, dort einen Kaffee zu trinken und über den weiteren Verlauf unserer Reise nachzudenken.

In Istanbul hält uns nun nämlich nichts mehr, obwohl es eine beeindruckende Stadt ist. Aber nach dreitägiger Pause jucken die Muskeln und wir wollen wieder aufs Rad, voran kommen. Gleichzeitig haben wir – nach der furchtbaren Erfahrung, in die Stadt hinein zu fahren – sehr wenig Lust, sie mit dem Fahrrad zu verlassen, weshalb wir beschließen, am Abend ein Fährticket in die Stadt Bursa zu lösen und uns damit den Istanbuler Stadtverkehr zu ersparen.

Vorher genießen wir allerdings noch ein wenig den Trubel Istanbuls und unternehmen mit einer Linienfähre einen Ausflug auf die asiatische Seite der Stadt. Vom Wasser aus haben wir dabei einen tollen Blick auf die asiatischen und europäischen Viertel und den engen Schiffsverkehr dazwischen.

Abschied

Später am Abend verabschieden wir uns bereits von Adnan, der uns zur Erinnerung jedem ein Armband knüpft, das wir seit diesem Tag ständig tragen, denn trotz der teilweise nicht ganz leichten Verständigung denken wir gern an Adnan zurück, der alles für uns möglich gemacht hat und es nicht zuließ, dass wir ihm bei irgendwas helfen oder auch nur ein Essen ausgeben konnten.

Am nächsten Morgen geht es für uns zum Fährhafen und über das Fußgängerterminal an Deck unserer Fähre, die aus Istanbul heraus auf einen neuen Kontinent bringt.

Ein paar Daten

  • Kilometerstand: 7.644 km
  • Strecke: Ipsala – Keşan – Tekirdağ – Istanbul
  • Übernachtungen: 4 x Zelt, 4 x Warmshowers
  • Zeitraum: 11. – 19. November 2019

In eigener Sache

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Von Anika

Irgendwas mit Fahrradfahren.