Land Nummer elf: Nordmazedonien. Nachdem wir die Einreiseformalitäten erledigt haben, geht es erstmal geradewegs bergab in den Feierabendverkehr von Skopje. Wie in allen Großstädten um diese Uhrzeit, steht auch in Skopje der Verkehr größtenteils still, weshalb wir uns am Stau vorbei kämpfen, um den Fluss Vardar zu erreichen, der die Stadt von West nach Ost durchquert und dabei von einem Fahrradweg begleitet wird.
Von Fahrradwegen und -schuppen
Um von der Straße runter ans Flussufer zu gelangen, müssen wir erstmal auf einem Damm ein paar Kilometer in die falsche Richtung fahren, denn es gibt vorher keinen Abgang, an dem wir die Fahrräder herunter schieben können, weil es einfach viel zu steil ist. Es ist uns in Fällen wie diesen regelmäßig ein Rätsel, ob sich der Planer dieser Anlage mal einen Gedanken daran verschwendet hat, ob sie auch in der Realität nutzbar ist.
Nachdem wir dann erstmal unten am Flussufer angekommen sind, geht es dann aber ziemlich schnell zu unserem Hostel am Rande der Altstadt. Wenn wir so ein Hostel buchen, wissen wir vorab in der Regel nicht, ob wir dort die Fahrräder sicher unterstellen können, denn für gewöhnlich ist ein Fahrradschuppen kein Merkmal, auf das besonders viele Besucher Wert legen, weshalb niemand damit wirbt. Wir hoffen einfach immer, dass sich eine Lösung findet, und bisher war das noch nie ein Problem.
Auch in Skopje ist ganz schnell und einfach ein Platz gefunden: im Gemeinschaftsraum, zwischen Bar und Couch ist genug Platz für die Fahrräder und die meisten Taschen, die wir ebenfalls dort abstellen, denn Stauraum ist rar.
Wir haben uns nämlich ein Hostel ausgesucht, das fast ausschließlich Schlafkojen vermietet. Eines von den einhundert Betten, die auf zwei langen Gängen direkt über- und nebeneinander platziert sind und lediglich über ein Rollo für etwas Privatsphäre verfügen, ist unseres.
„Only for the schmeck“
Weil wir nach diesem langen 96-Kilometer-Tag eigentlich nur noch etwas essen und danach ins Bett gehen wollen, unternehmen wir einen ganz kurzen Spaziergang in die Altstadt und suchen uns in einer der vielen bunten Gassen eine Lokalität aus. Als der Kellner die Hackbällchen bringt, stellt er uns auch Chilipulver auf den Tisch und erklärt, dass wir dieses unbedingt probieren sollten. Als er unsere skeptischen Gesichter beim Stichwort “Chili” sieht, versichert er uns, dass es überhaupt nicht scharf ist – es wäre „only for the schmeck“. Wenig überraschend ist der Ausdruck „only for the schmeck“ seit diesem Tag fest in unserem Wortschatz verankert.
Kurze Zeit, nachdem wir uns gestärkt haben, verschwinden wir wie geplant hinter unserem Rollo und kommen dort so schnell nicht wiede hervor. Obwohl die Luft über Nacht natürlich nicht besser wird, ist es in unserer Koje eigentlich ganz gemütlich, was allerdings auch damit zusammenhängt, dass außerhalb der Saison nur wenige andere Reisende hier sind und wir unsere Ruhe haben.
Obst, Gemüse, Gardinenstangen
Der nächste Tag beginnt für uns spät und mit einer ausgiebigen Runde auf dem Basar. Los geht es in den zahlreichen Gängen mit frischem Obst und Gemüse, angeboten von älteren Damen und Herren, die wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang nichts anderes gemacht haben und sich durch nichts mehr aus der Ruhe bringen lassen.
Dahinter beginnt die Schuhabteilung, in der alle Modelle aller Marken in allen Farben für wenige Denar in den Regalen stehen. Alles original versteht sich.
Nebenan folgt die Gemischtwarenabteilung, in der es von der Gardinenstange über Spitzenunterwäsche und Kinderspielzeug bis hin zum Küchensieb und Zementsack alles gibt, was in keinem geordneten Haushalt fehlen darf.
Den Abschluss unserer Basarrunde bildet eine Halle voller Fachgeschäfte für Stoffe, Abendgarderobe für Kinder und Erwachsene, Gardinen, Kopftücher und alles, was sonst noch so aus Baumwolle, Seide und Spitze hergestellt werden kann.
Anschließend spazieren wir ein wenig durch die Altstadt, die mit ihren gemütlichen alten Gassen voller Geschäfte, Cafés und Restaurants nicht nur Touristen, sondern auch sehr viele Einheimische anlockt, sodass wir nur ein oder zwei Mal eine Gruppe voller Asiaten mit einem Knopf im Ohr umkurven müssen.
Ausflug in den Freizeitpark
Über die Steinbrücke, die über den Vardar führt, sind Alt- und Neustadt miteinander verbunden und als wir mitten auf eben jener Brücke stehen und uns umsehen, wird uns bewusst, was für eine seltsame und unzusammenhängende Stadt Skopje eigentlich ist.
Da ist die Altstadt mit ihren Moscheen und dem alten Basar, direkt daneben die Fassaden der Prachtbauten am Flussufer, die offensichtlich sehr neu, aber im Stile der antiken griechischen Bauten mit Säulen gestaltet sind und sich direkt gegenüber der alten kantigen Betonklötze der Siebziger Jahre befinden.
Dann ist da noch die vollkommen überdimensionierte Statue von Alexander dem Großen auf dem zentralen Platz, der historisch mit dieser Region überhaupt nichts zu tun hat, und die Burg aus Backstein, die einfach nicht ins Bild aus Marmor und Sandstein passen will, aus dem der Rest der Stadt gebaut ist.
Wir laufen ein wenig durch den Stadtkern und begegnen sehr vielen Statuen und Bauten, die offensichtlich noch keine zehn Jahre alt sind und thematisch alle die Region Mazedonien und ihre historische Bedeutung für die Geschichte Europas aufgreifen, obwohl dieses Land trotz seines Namens so gut wie gar nichts damit zu tun hat. Auf diese Weise wirkt die Stadt wie ein großer Freizeitpark mit dem Thema „Griechische Antike“.
Raus aus der Stadt, rauf aufs Feld
Nach einer weiteren Nacht hinter unserem Rollo verlassen wir Skopje, indem wir dem Vardar weiter in Richtung Osten folgen und schließlich an einer unfassbar große Müllkippe ankommen, an deren Rand zu unserem Entsetzen ein bewohntes Haus steht. Der Gestank des Mülls ist unglaublich mächtig. Wir wollen nichts anderes als möglichst schnell diese Dunstglocke zu verlassen und können uns nur denken, dass die Familie, die hier wohnt, wahrscheinlich woanders unterkommen würde, wenn sie die Möglichkeit hätte. Denn Kinder aufziehen und Wäsche zum Trocknen raushängen, will hier wohl niemand freiwillig.
Nachdem die Luft für uns besser geworden ist und wir schon ein paar Dörfer hinter uns gelassen haben, steht eine Zwangspause an, denn Denis hat seinen ersten Platten. Wir feiern dieses Ereignis gebührend mit einem selbstklebenden Flicken und Schokolade, die wir für Zwischenfälle wie diesen im Gepäck haben.
Am Nachmittag haben wir die Hauptstadt und ihren Speckgürtel lange hinter uns gelassen und sind wieder auf wenig befahrenen Straßen unterwegs, einen Berg zu erklimmen. Später versorgen wir uns in Veles in einem kleinen Laden, dessen Angebot zur Hälfte aus Süßwaren und zu null Prozent aus Obst und Gemüse besteht, und gehen hinter der Stadt auf Schlafplatzsuche.
Weil es bereits anfängt zu dämmern, können wir nicht sonderlich wählerisch sein. Etwas unromantisch, aber sichtgeschützt stellen wir das Zelt hinter einen Busch auf ein Feld. Nebenan verläuft eine Bahnstrecke, deren Übergang unbeschrankt ist, weshalb wir durch ein weit hörbares Klingeln immer schon vorab über die Durchfahrt des nächsten Zuges informiert werden. Gute Nacht.
Überraschung hinterm Berg
Der nächste Tag beginnt erstmal unansehnlich: grauer Himmel, Nieselregen, kühle Temperaturen, sehr braune und wenig farbenfrohe Landschaft, Nebel. Wir freuen uns schon darauf, bald in Griechenland anzukommen und endlich das Mittelmeer zu erreichen. In Griechenland ist schließlich immer schönes Wetter – so unsere Arbeitsthese.
Aber auch hier in Nordmazedonien wird es unerwarteterweise nochmal echt schön. Wir passieren am Nachmittag einen Berg – durch einen Tunnel und nicht über einen zwanzig prozentigen Anstieg auf unbefestigten Wegen, wie es die Navigationsapp gern hätte – und fühlen uns hinterher wie in einem ganz anderen Land.
Alles ist grün, rot, gelb, die Berge sind von oben bis unten bewachsen, zu unserer Rechten verläuft der Vardar und wir haben einen tollen Blick auf das Tal, das er durch die Landschaft zieht. Sogar das Wetter wird ein wenig besser.
Nachdem wir ein paar Kilometer mit diesem tollen Blick gefahren sind und an einem geschlossenen Restaurant unsere Wasservorräte auffüllen konnten, finden wir unten am Fluss eine große Wiese, auf der wir unter einiger Anstrengung im Wind unser Zelt aufbauen und uns über das tolle Panorama freuen können. Zugegeben, die ganze Wiese ist voller Ziegenkacke und Disteln, aber man kann auch nicht immer alles haben.
Südfrüchte
Im Laufe des nächsten Tages verlassen wir das Vardartal wieder und kommen zurück in die Zivilisation. An der ersten Tankstelle füllen wir gleich mal die Wasser- und Benzinflaschen auf und bekommen vom Tankwart den durchaus ernstgemeinten Rat, dass wir aus letzteren nicht trinken dürften. Was ein Glück, dass das endlich mal jemand klar stellt.
Im ersten Dorfladen gehen wir schließlich auf große Einkaufstour, denn wir haben aus dem Serbien-/Kosovo-Bargelddebakel gelernt und nun viel mehr Geld im Portemonnaie als wir noch ausgeben können. Obwohl wir einiges an Lebensmitteln für den Tag kaufen und einige Vorräte auffüllen, bleibt noch so viel Geld übrig, dass wir hoffen, in absehbarer Zeit eine Wechselstube zu finden, die nordmazedonische Denar in die jeweilige Landeswährung tauscht. [Spoiler: in Istanbul werden wir fündig.]
Bevor es soweit ist, stellen wir erstmal fest, dass wir uns mittlerweile in einer Region befinden, in der Granatäpfel und Khakis angebaut werden und Carports mit Kiwiranken umwickelt sind. Nachdem gerade am Vortag alles noch so grau und unfruchtbar aussah, ist das doch schon eher eine Überraschung für uns.
Nach einem letzten Anstieg der Marke „lang und steil“ können wir uns fast bis an den Dojran-See rollen lassen und dort die nebensaisonale Ruhe zwischen den ganzen geschlossenen Restaurants und leeren Hotels genießen.
An den Stränden des Sees sind vereinzelt Fischer mit Angeln und Booten anzutreffen, die bei der Arbeit auf ein großartiges Panorama aus Bergen, Wolken und Wasser schauen können.
Und dann endet unsere Zeit in Nordmazedonien nach nur vier Tagen auch schon mit einem ungewöhnlich breiten Grenzstreifen und einem Grenzbeamten, der auch gern mal mit dem Fahrrad auf Reisen gehen möchte.
Ein paar Daten
- Kilometerstand: 6.909 km
- Strecke: Elez Han – Skopje – Veles – Dorjan
- Übernachtungen: 2 x Hostel, 2 x Zelt
- Zeitraum: 28. Oktober – 1. November 2019
In eigener Sache
Wie ihr vielleicht wisst, finanzieren wir unsere Fahrradweltreise komplett selbst und haben keinen großen Sponsor, der uns versorgt. Wir haben einen Betrag gespart, mit dem wir erstmal eine Weile leben können. Dennoch werden wir bald versuchen, über unseren Blog einige Einnahmen zu generieren, um die Website am Laufen zu halten und einige Kosten zu decken, die auf der Reise anfallen. Erfahrungen anderer Reisender zeigen, dass man durchschnittlich mit etwa zehn Euro pro Person und Tag rechnen kann, womit dann neben der Verpflegung auch Anschaffungen, Reparaturen, Visa etc. abgedeckt sind. Falls ihr Lust habt, uns dabei zu unterstützen, könnt ihr ganz einfach über [diesen Link] einen selbst bestimmten Betrag per Paypal an uns senden. Wir freuen uns über jeden Euro!