Lettland III – oder: Auf Schotterwegen nach Versailles

Lettland ist kein Fahrradland. Das merken wir auf den Schotterpisten die zum Teil den Titel „Bundesstraße“ tragen, und während zahlreicher engstmöglicher Überholungen im ganzen Land. Schön ist es dort aber trotzdem.

Ziemlich genau vier Wochen, nachdem wir Lettland in Richtung Estland verlassen hatten, kommen wir nun also zurück in das Land der Ameisen und Wälder. In der Stadt Valga/Valka, die zur Hälfte estnisch und zur Hälfte lettisch ist, steht neben einem leerstehenden Grenzposten ein Ortseingangsschild, das über den neuen Namen der Stadt, und ein weiteres, das über das neue Land informiert, und schon sind die Einreisemodalitäten erledigt.

Nachdem wir die Stadt verlassen haben, finden wir das gewohnte Bild von Lettland vor: Wald – Straße – Wald. Es geht also erstmal genauso weiter wie vier Wochen zuvor.

Lagerfeuer auf lettische Art

Wir fahren an diesem Tag nicht mehr allzu weit und suchen am Fluss Gauja nach dem kostenlosen Campingplatz, der vom lettischen Gegenstück des estnischen RMK (Waldmanagement), einer Organisation namens „Mammadaba“ (Mutter Natur), betrieben wird. Wir finden eine Wiese am Fluss mit zwei Lagerfeuerstellen aus Stein und lassen uns direkt nieder.

Wenig später erreicht eine Familie in mehreren Kanus den gleichen Ort von der Flussseite aus, wir plaudern kurz und müssen unsere Campingstühle vorführen, denn der Vater scheint sehr begeistert von ihnen. Mutti ist unterdessen schon etwas angeschwipps und führt sehr weit aus, warum sie ihr Land so sehr mag.

Dann wird es Zeit für das Lagerfeuer und wir besorgen uns Holz aus dem Wald. Wir sammeln nur heruntergefallene Äste ein, denn es tut ja nicht Not, für unser Vergnügen einen Baum zu fällen. Denken wir.

Kurze Zeit später geht der Vater von nebenan mit einer kleinen Handaxt in den Wald und kommt keine zehn Minuten später mit einen ganzen Baum, frisch gefällt natürlich, im Schlepptau wieder. Die Familie verschwindet im Anschluss noch einmal zusammen in den Wald und trägt noch einen weiteren Baum und eine ganze Menge Äste heraus.

Ihr Lagerfeuer ist dementsprechend etwas größer als unseres, das mehr Zeit darauf verwendet, vor sich hin zu qualmen statt wirklich zu brennen. Es hält uns allerdings warm und das reicht uns schon.

Verlorene Heringe

Wir bleiben für ein paar Tage in der Nähe des Gauja-Flusses, der landschaftlich sehr schön ist, ein tiefes Tal in die Gegend schneidet und sein eigenes Naturschutzgebiet hat, weshalb so gut wie keine Schiffe darauf zu sehen sind. Außerdem gibt es einige weitere Campingplätze an seinen Ufern, von denen wir am nächsten Abend direkt einen ausprobieren.

Wir sind dort bis in den späten Abend allein und stellen das Zelt einfach mal mitten auf die Wiese, weil der Boden dort am ebensten ist. Am nächsten Morgen schieben wir es in die Sonne, um es zu trocknen. Währenddessen sind zwei Herren vor Ort, die nach dem Rechten sehen, die Toilette reinigen und die Mülleimer leeren. Und unsere Heringe mitnehmen, die noch herrenlos mitten auf der Wiese liegen.

Das ist sehr ärgerlich, denn es waren sehr hochwertige Heringe, die unser Zelt in fast jedem Boden fixiert haben. Für den Übergang werden wir ein paar Tage später Ersatzheringe in einem Baumarkt besorgen und die originalen Heringe nachbestellen.

Kliff und Schotter

Nachdem wir die Fahrräder wieder den steilen, sandigen Abhang hinauf geschoben haben, der am Abend zuvor deutlich leichter zu meistern war, geht es zum Erglu-Kliff, das sich gar nicht weit entfernt am Gauja-Fluss befindet und über einen Wanderpfad erreicht werden kann.

Im weichen Sandstein, aus dem das Kliff geformt ist, haben sich schon allerhand Leute verewigt, was mittlerweile verboten ist, denn dadurch besteht die Gefahr, die sehr alten Inschriften zu beschädigen, die dort zu finden sind.

Obwohl das Kliff nicht weit entfernt ist, benötigen wir relativ lange, um es zu erreichen, denn die Wege bestehen aus Schotter oder Sand und lassen ein zügiges Vorankommen nicht zu. Als wir die Stadt Cesis erreichen, ist es bereits 17:00 Uhr, wir haben ganze dreißig Kilometer auf dem Tacho und sind dementsprechend schlecht gelaunt.

Die Stimmung bleibt den ganzen Abend schlecht bis wir mental einen Schritt Abstand nehmen und uns daran erinnern, was wir vor dieser Reise zu jedem gesagt haben. „Es dauert so lange wie es dauert.“ Wir haben keinen Zeitdruck, keine Termine und müssen niemandem etwas beweisen. Und wenn wir am Tag nur zwanzig Kilometer fahren, dann ist das eben so. Fertig.

Dementsprechend nehmen wir uns ganz bewusst den nächsten Tag komplett Zeit, um uns die Stadt Sigulda ganz genau und ohne Stress zu erkunden. Das stellt sich als eine sehr gute Entscheidung heraus, denn die Stadt lohnt sich auf jeden Fall.

Sigulda

Sigulda ist schon vor mehreren hundert Jahren ein beliebtes Ziel von Touristen gewesen – aus der Zeit kommt auch noch das bekannteste Souvernir der Stadt, der Wanderstock – und ist dementsprechend herausgeputzt.

Die Stadt ist ebenfalls am Gauja gelegen und durch ihn geteilt. Auf einer Flussseite befinden sich die Parks, Denkmäler und die Innenstadt, auf der anderen die Burg Turaida und das Schloss Krimulda.

Wir bleiben zuerst auf der südlichen Seite des Flusses und schauen uns in der Stadt um. An einem Denkmal für die Lettische Einheitsfahrt bleiben wir hängen. Wir können nicht wirklich herausfinden, was es damit auf sich hat, aber die Fahrt wurde offensichtlich mit Fahrrädern vorgenommen, denn das Denkmal besteht aus einigen stilisierten Fahrrädern und daneben befindet sich eine Servicestation mit allerhand Werkzeugen und Druckluft zur Wartung des eigenen Fahrrads.

Dann soll es auf die Burg Turaida auf die andere Flussseite gehen. Wie oben beschrieben schneidet der Gauja-Fluss ein tiefes Tal in die Landschaft. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: eine elfprozentige Abfahrt zum Fluss – macht trotz des Verkehrs richtig Spaß – und ein elfprozentiger Anstieg hinter dem Fluss zur Burg – macht nur bedingt Spaß.

Auf dem Rückweg gibt es das gleiche noch einmal, was dazu führt, dass unser Höhenprofil am Ende des Tages aussehen wird als hätte sich jemand mit dem nackten Hintern rein gesetzt.

Zwischen den beiden Pobacken besuchen wir die Burg Turaida mit einem großen, sehr schön angelegten Park voller kleiner Häuser, in denen thematisch über das Leben an der Burg berichtet wird – z.B. zu den Themen Fischzucht, Badehaus, Fuhrwägen usw.

Auch auf der Burg selbst wird viel geschichtliches Wissen vermittelt. Für uns Kulturbanausen ist allerdings das wichtigste der Blick vom Burgturm auf die Umgebung, den Gauja-Fluss und den dazugehörigen Nationalpark. Und der kann sich wirklich sehen lassen.

Besuch im Fahrradladen

Weil wir ein paar Tage zuvor an Denis‘ Vorderrad eine gebrochene Speiche festgestellt haben, statten wir – nachdem wir den zweiten elfprozentigen Anstieg gemeistert und verdaut haben – mal wieder einem Fahrradladen einen Besuch ab.

Wir erfahren, dass die Speiche nicht gebrochen, sondern nur lose ist, und dass das Eiern des Vorderrads nicht darauf zurückzuführen ist, sondern auf irgendetwas in der Radnabe, die entweder verschmutzt oder beschädigt ist. Außerdem wird ein Schaden im Tretlager diagnostiziert, der für das Knacken verantwortlich ist, das seit geraumer Zeit immer dann auftritt, wenn Denis etwas stärker treten muss. Das Austauschen des Tretlagers soll wohl etwas teurer werden. Weil allerdings auch nichts schlimmes passieren wird, wenn wir es nicht reparieren lassen, lassen wir es vorerst knacken. Um die Radnabe sollten wir uns wohl allerdings schon kümmern. [Spoiler: ist bis Polen noch nicht passiert.]

Außerhalb der Stadt finden wir am Abend einen kleinen See im Ort Judaži, an dem wir das Zelt aufbauen, nachdem alle anderen verschwunden sind, und am nächsten Morgen mit Seewasser Wäsche machen und ein Bad nehmen können.

Schotter II

Nachdem wir die Daugava in der Stadt Kegums überquert haben – tatsächlich gibt es nicht viele Brücken, obwohl der Fluss das ganze Land bis Riga durchquert – wird es Zeit für unsere Schottertage. 38 Kilometer müssen wir über die nicht befestigte Bundesstraße P88 zurücklegen – das ist die kürzeste Schotterdistanz, wenn man nicht über die Autobahn fahren möchte und das möchten wir nicht.

Das mit dem Schotter ist so: die Straße besteht aus einem festgefahrenen Untergrund, auf dem Steine in allen Größen zwischen kleiner Zeh und Faust verstreut liegen. Damit es nicht langweilig wird, haben schwere Fahrzeuge mit breiten Profilen Querrillen in die Straße gefahren, auf denen sich das Fahren anfühlt wie ein Schleudergang in der Waschmaschine.

Wir suchen also kontinuierlich nach den Spuren ohne Rillen und müssen ständig aufpassen, die großen Steine zu umfahren. Und damit wir zwischendurch ein wenig Abwechslung haben, sind da noch die LKW und PKW, die ungebremst an uns vorbei rasen und lange Staubwolken hinter sich her ziehen, weshalb wir am Ende des Tages komplett staubig sind, uns allerdings bereits an den Staubgeschmack im Mund gewöhnt haben.

Eigentlich wollen wir die 38 Kilometer an einem Tag hinter uns bringen, aber nach knappen dreißig Kilometern machen wir Schluss, weil unsere Wetterapp eine dicke Regenfront voraussagt, die den ganzen Abend Niederschlag bringen soll.

Nachdem wir allerdings das Zelt im Nieselregen auf einem Feld aufgestellt haben, hört es auf zu regnen und das Regenradar will von seiner Vorhersage nichts mehr wissen. Das ist schon etwas ärgerlich, aber wir sind ganz froh, dass es nicht andersrum gelaufen ist und wir vom Regen überrascht werden.

Wir reißen die restlichen Schotterkilometer also am nächsten Tag und erreichen die Stadt Bauska. Dort geht es über einen kleinen Pfad an der Burg vorbei zu der Stelle, an der Memel und Musa zusammen fließen und zur Lielupe werden.

Am Abend erreichen wir – immer noch verschwitzt und verstaubt – das Schloss Rundale, das auch das Versailles des Nordens genannt wird. Wir haben nicht vor, es von innen zu besichtigen – dafür fühlen wir uns unpassend gekleidet -, aber wir finden einen Pfad, der einmal komplett um den Schlossgraben herum führt.

Von weitem können wir den perfekt angelegten Garten, die bunten Rosenbeete und natürlich das Schloss bestaunen und uns vorstellen, wie es bei den Verantwortlichen ankommen würde, wenn wir mitten im Garten das Zelt aufschlagen würden.

Weil wir allerdings keine Lust haben, im Kerker zu landen, fahren wir weiter und verlassen Lettland noch an diesem Abend in Richtung Litauen.

Wir sind erstaunt von diesem Land, das sich im Landesinneren so viel anders darstellt als an der Küste: dichter besiedelt, voller Burgen und Schlösser, mit einem wunderschönen Nationalpark am Gauja-Fluss und unbefestigten Bundesstraßen. Leider sind wir nicht so richtig in Kontakt mit den Leuten gekommen, die zum Großteil sehr reserviert waren.

In den folgenden Tagen werden wir Litauen durchqueren und auf ähnliche Reserviertheit und viel Gegenwind stoßen.

Ein paar Daten

  • Kilometerstand*: 3.760 km
  • Strecke (grob): Valka – Cesis – Sigulda – Kegums – Bauska
  • Übernachtungen: 6 x Zelt
  • Zeitraum: 24. – 30. August 2019

* am Ende dieser Etappe

In eigener Sache

Wie ihr vielleicht wisst, finanzieren wir unsere Fahrradweltreise komplett selbst und haben keinen großen Sponsor, der uns versorgt. Wir haben einen Betrag gespart, mit dem wir erstmal eine Weile leben können. Dennoch werden wir bald versuchen, über unseren Blog einige Einnahmen zu generieren, um die Website am Laufen zu halten und einige Kosten zu decken, die auf der Reise anfallen. Erfahrungen anderer Reisender zeigen, dass man durchschnittlich mit etwa zehn Euro pro Person und Tag rechnen kann, womit dann neben der Verpflegung auch Anschaffungen, Reparaturen, Visa etc. abgedeckt sind. Falls ihr Lust habt, uns dabei zu unterstützen, könnt ihr ganz einfach über[diesen Link]einen selbst bestimmten Betrag per Paypal an uns senden. Wir freuen uns über jeden Euro!

Von Anika

Irgendwas mit Fahrradfahren.

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