Wir schreiben ja eine ganze Menge darüber, was wir unterwegs sehen und erleben, aber davon, wie sich so ein Tag auf Fahrrad-Weltreise überhaupt gestaltet, haben wir bisher noch nicht allzu viel berichtet. Das liegt zum Teil daran, dass wir uns selbst erstmal an unser neues Leben auf Reisen gewöhnen mussten, und zum Teil daran, dass es keinen typischen Tagesablauf gibt und sehr viel dem Zufall überlassen ist.
Weil wir euch aber mal ein bisschen mehr davon erzählen wollen, wie es sich auf dem Fahrrad so lebt, haben wir uns einfach mal wahllos den 31. August 2019 ausgewählt und etwas genauer dokumentiert, was wir eigentlich den ganzen Tag machen.
8:00 Uhr, 0,0 km
Aufstehen. Wir haben uns schon lange von unserem Wecker getrennt und keine feste Aufsteh-Zeit mehr, aber 8:00 Uhr ist ein wenig früher als gewöhnlich.
Am Vorabend hatten wir das Zelt an einem See am Rand der Stadt Joniškis (Litauen) aufgestellt. Nebenan befindet sich eine überdachte Sitzgruppe, in der wir uns ausbreiten können, dahinter ein paar öffentliche Fitnessgeräte. Außer uns sind nur zwei Angler am See, wir haben also noch unsere Ruhe.
Denis steht schließlich auf, um Frühstück zu machen, während Anika im Zelt bleibt und die Schlafsäcke und Matten einräumt. Eigentlich lüften wir die Schlafsäcke ganz gerne morgens nochmal auf dem Zeltdach, aber da wir das Zelt auf der einzigen schattigen Fläche im ganzen Park gestellt haben, ist es noch nass und die Schlafsäcke kommen direkt in die Tasche.
8:30 Uhr, 0,0 km
Frühstück ist fertig. Es gibt Haferflocken mit Joghurt in getrockneten Cranberries, dazu Instant-Kaffee und Kama – das ist ein Pulver aus verschiedenen Getreidesorten, das man in Joghurt auflöst und das dann nach flüssigem Knäckebrot schmeckt. Wir haben Kama in Estland entdeckt und trinken seitdem jeden Morgen einen Becher davon.
Während sich Denis um die Route für den Tag kümmert, geht Anika mit dem Kaffee am See spazieren und beobachtet Fische und Leute, denn mittlerweile sind ein paar Frühsportler am See, die die Fitnessgeräte nutzen oder nackt baden gehen.
9:30 Uhr, 0,0 km
Der Abwasch wartet. Weil wir nicht mehr so viel Trinkwasser dabei haben, wird mit Wasser aus dem See abgewaschen. Das machen wir eigentlich immer so, wenn wir an einem Gewässer übernachten, um Trinkwasser zu sparen.
10:00 Uhr, 0,0 km
Der Abwasch ist erledigt, der Küchenkram wieder in den Taschen verstaut, jetzt ist Zeit zum Baden. Nachdem wir zwei Tage lang auf bestem Schotter unterwegs waren und nur begrenzt Zugang zu Wasser hatten, tut so ein Bad im See mal wieder Not. Die vorbeifahrenden Autos ziehen nämlich immer eine riesige Staubwolke hinter sich her und ein Feuchttuch vermag es nicht, den ganzen Staub am Abend aufzunehmen.
Im Anschluss werden die Haare gewaschen. Dazu holen wir mit dem Wassersack etwas Wasser aus dem See, hängen ihn an unserem Unterstand auf und haben mit dem dazugehörigen Duschaufsatz eine 1A-Outdoordusche. Mittlerweile sind wir schon ganz gut darin geworden, die Haare zu waschen, ohne dabei unsere Kleidung nass zu machen, denn wir stehen dabei natürlich nicht nackt am See.
Nachdem wir beide frisch gemacht sind, werden die Taschen gepackt und das Zelt abgebaut. Nebenbei steht das Solarpanel in der Sonne, um den Laptop für später aufzuladen, denn am Nachmittag spielt Hansa gegen Münster und das wollen wir unterwegs irgendwo auf dem Laptop verfolgen.
11:36 Uhr, 0,0 km
Beim Beladen der Fahrräder stellen wir fest, dass an einer Tasche an Anikas Fahrrad eine Schraube an der Halterung fehlt. Wir wissen nicht, wie und wo wir sie verloren haben, aber es ist ärgerlich, dass schon zu einem so frühen Zeitpunkt der Reise ein solcher Schaden entstanden ist, denn die Taschen und ihre Wasserdichtigkeit sind enorm wichtig für uns. Wir werden die Schraube wohl mit einem Exemplar aus dem nächsten Baumarkt ersetzen, aber ob das Ergebnis dann noch hundertprozentig wasserdicht ist, wissen wir noch nicht.
Um die Tasche erstmal übergangsweise zu stabilisieren, fixieren wir sie mit einem Spannband am Gepäckträger.
11:57 Uhr, 0,0 km
Die Taschen sind gepackt, die Fahrt beladen, wir können endlich losfahren. Mittlerweile ist es Mittag, die Sonne scheint und es ist echt warm.
Wir verlassen die Stadt Joniškis über ein Viertel, das von einem Fabrikgebäude dominiert wird. Die Fahrradwege in der Stadt sind ziemlich schlecht – entweder ist der Asphalt aufgebrochen oder die Bordsteine sind einen gefühlten halben Meter hoch, sodass wir erstmal eher schleppend voran kommen.
Außerhalb der Stadt verläuft dann allerdings ein super Weg direkt neben der Autobahn, dem wir bis ins fünfzig Kilometer entfernte Šiauliai folgen wollen.
12:51 Uhr, 13,1 km
Etwas überraschend endet die Fahrradweg plötzlich im Nichts. Das bedeutet für uns: ab auf die Autobahn. Nun sind die Autobahnen in Litauen nicht vergleichbar mit denen in Deutschland, denn im Grunde handelt es sich hierbei um Hauptverkehrsstraßen mit einer Spur in jede Richtung, erlaubte Höchstgeschwindigkeit: 130 km/h. Dennoch sind die Autobahnen hier stark befahren, der Verkehr relativ dicht und Fahrradfahrer ein echtes Ärgernis, das möglichst eng umfahren werden muss.
Wir fahren dementsprechend nicht allzu gern auf der Autobahn, auch wenn wir auf dem glatten Asphalt sehr gut vorwärts kommen. Aber danach fragt uns niemand, also Helm auf und ab dafür.
Über weite Strecken kommen wir tatsächlich sehr gut voran und können problemlos über zwanzig Kilometer pro Stunde fahren. Dann gibt es aber immer wieder Abschnitte – gern neben Feldern -, auf denen wir ganz gut gegen den Wind arbeiten müssen, der unsere Geschwindigkeit dann gern mal um sechs bis acht Kilometer pro Stunde drosselt.
Wir müssen auf der Autobahn immer darauf achten, konzentriert zu bleiben, denn einige Fahrer überholen uns wirklich sehr eng, gern überholt auch mal der Gegenverkehr, während wir auf der Nebenspur fahren, und als Verkehrsteilnehmer ohne Knautschzone fühlt man sich neben so einem Zwanzigtonner sowieso nicht wohl. Diese Gegebenheiten machen das Fahren auf viel befahren Straßen ohne Fahrradweg für den Kopf sehr anstrengend. Man kann die Landschaft bzw. die Orte nicht genießen und nur hintereinander fahren. Da kam für Denis die Ablenkung in Form eines Whatsapp-Livetickers von dem Spiel seiner Jugendmannschaft, die er in Hamburg trainiert hat, gerade recht. Und mit dem Sieg dazu war die Autobahn auch gar nicht mehr so anstrengend.
13:54 Uhr, 32,7 km
Wir sind endlich an unserem ersten Ziel angekommen: dem Berg der Kreuze. Ganz entspannt geht es die letzten anderthalb Kilometer über eine kleine Landstraße zum Berg. Weil wir aber erstmal fertig sind und nach über dreißig Kilometern auch gut Hunger haben, suchen wir uns erstmal ein schattiges Plätzchen.
Unter einem Baum in Sichtweite des Berges legen wir den Footprint (unsere Zeltunterlage) aus und decken den Tisch. Am Vorabend sind Nudeln mit Tomatensauce übrig geblieben, dazu gibt es ein paar Müsliriegel und viel Wasser.
Nach dem Essen beschließen wir, dass Hansaspiel hier an Ort und Stelle unter unserem Baum zu schauen. Es ist zwar noch fast eine Stunde Zeit bis zum Anpfiff (die litauische Zeit ist der deutschen eine Stunde voraus) und wir könnten die Zeit nutzen, um den Berg zu besichtigen, aber eigentlich haben wir viel mehr Lust, einfach liegen zu bleiben und nach dem Spiel die ganzen Kreuze zu bestaunen. Die werden bis dahin wohl nicht weglaufen.
15:00 Uhr, 32,7 km
Anpfiff im Ostseestadion. Wir haben uns seit unserem Eintreffen nicht von der Stelle bewegt, liegen im Schatten mit Denis‘ Hecktasche als Kopfstütze und haben den Laptop zwischen uns gestellt. Wir mussten ihn unterwegs mit einer Powerbank laden, weil die Sonnenenergie nicht gereicht hat, um den Akku genug zu laden.
Nun liegen wir also zwei Stunden unter einem Baum, fiebern den hundert vergebenen Torchancen hinterher, bejubeln das 1:0 und beten, dass nicht wieder in den letzten Minuten der Ausgleich fällt. Dabei werden wir von allerhand Touristen angestarrt, die währenddessen an uns vorbei laufen, und weder ein Lächeln noch ein Grüßen erwidern. Das ist schon ein großer Unterschied zu anderen Ländern. Meistens schauen die Menschen sonst fluchtartig weg, wenn man sie anschaut, oder lächeln wenigstens zurück.
17:14 Uhr, 32,8 km
Wir haben unser Zeug wieder zusammen gepackt und es endlich an den Berg der Kreuze geschafft. Von Weitem wirkt er etwas enttäuschend, weil es kein richtiger Berg oder Hügel ist, sondern halt einfach eine Ansammlung von Kreuzen.
Aus nächster Nähe ist es aber schon beeindruckend, wie viele Kreuze sich da auf einer kleinen Fläche angesammelt haben. Das besondere sind die tausenden kleiner Kreuze, die an die großen gehangen worden sind.
Auf dem Weg zurück zur Autobahn wollen wir nochmal an der Touristeninformation halten, um auf der Toilette unsere Wasservorräte aufzufüllen. Wir fahren allerdings weiter, nachdem wir gesehen haben, dass für die Toilettennutzung Geld verlangt wird.
17:37 Uhr, 35,0 km
Wir sind zurück auf der Straße. Die verbleibenden zehn Kilometer nach Šiauliai können wir auf dem Fahrradweg zurücklegen, der zwar die eine oder andere sehr unebene Stelle aufweist, aber immer noch besser ist als die Autobahn nebenan. Vor Šiauliai gibt es noch mal den einen oder anderen Anstieg zu meistern, aber das ist auch egal, denn wir schwitzen sowieso schon ganz gut.
18:10 Uhr, 43,3 km
Wir sind an einem größeren Einkaufszentrum in der Stadt angekommen und nutzen die Gelegenheit, uns für den Abend und den nächsten Morgen zu versorgen und unsere Trinkwasservorräte auf der Toilette aufzufüllen. Vor Ort gibt es ein paar Bananen und ein kühles Getränk für die Stärkung zwischendurch.
Wir bezahlen ein bisschen über elf Euro für die Lebensmittel und gar nichts für das Wasser. Die Toilette ist im Einkaufszentrum nämlich kostenlos und dass wir dort unsere Trinkflaschen auffüllen, finden die Leute zwar komisch, aber wirklich zu stören scheint es niemanden.
Weil unsere Wassersäcke, die wir ursprünglich für den Transport von Trinkwasser gekauft hatten, undicht sind, sind wir auf Wasserflaschen umgestiegen. Wir führen nun drei große anderthalb Liter fassende Plastikflaschen mit uns, die wir immer nachfüllen. Dazu hat jeder zwei Trinkflaschen am Fahrrad, die fast einen Liter fassen, sodass wir insgesamt auf gute acht Liter Wasser kommen. Wenn wir abends kochen, benötigen wir ungefähr diese Menge an Wasser für einen Tag. Ansonsten ist es weniger.
19:30 Uhr, 43,3 km
Die Wasser- und Lebensmittelvorräte sind aufgefüllt, wir sind gestärkt, es kann weitergehen. Wir fahren eine kleine Runde durch die Innenstadt von Šiauliai, die mit vielen Plattenbauten und dem typischen bunt verrosteten Riesenrad im Park einen gewissen sowjetischen Charakter aufweist. Am Talkša-See hingegen wirkt die Stadt mit dem Beach Club und der Wasserski-Anlage ziemlich modern.
Weil es langsam relativ spät ist und die Sonne demnächst untergehen wird, suchen wir nach einem Schlafplatz und finden auf der Karte einen See etwas außerhalb der Stadt, an dem wir mal unser Glück versuchen wollen. Wir rechnen damit, dass es dort noch sehr voll ist, aber wir wollen einfach mal nachsehen und im Zweifel mit dem Aufbau des Zeltes so lange warten bis die meisten Leute gegangen sind.
20:18 Uhr, 51,8 km
Wir haben den gesuchten Platz gefunden, stehen aber vor einer geschlossenen Schranke an der Straße. Es scheint als wäre hier mal ein kleiner Naturpfad mit Bänken und Unterständen zwischen Straße und See gewesen, der nicht mehr bewirtschaftet wird.
Es gibt nicht direkt einen Hinweis darauf, dass es sich um ein Privatgrundstück handelt oder das Betreten verboten ist, weshalb wir beschließen, das Zelt in einem der Unterstände aufzubauen. Wir verlassen unsere Schlafplätze immer so wie wir sie vorgefunden haben und entsorgen unseren gesamten Müll, sodass niemand merken wird, dass wir überhaupt hier waren.
20:42 Uhr, 52,0 km
Das Zelt steht, die Fahrräder sind soweit abgeladen wie wir es brauchen – die meisten Taschen sind erst am nächsten Morgen oder gar nicht regelmäßig gefragt -, wir richten uns ein, bereiten Matratzen und Schlafsäcke vor. Weil die Sonne schon fast untergegangen ist und es langsam frisch wird, gibt es Abendbrot – Brot mit Wurst, Käse und Schnitzel, dazu Paprika und Möhren – im Zelt.
Beim Essen hören wir Schritte von draußen, die näher kommen und sich um uns herum zu bewegen zu scheinen. Zuerst vermuten wir einen Menschen und sind unsicher, wie wir reagieren sollen. Weil die Bewegung allerdings nicht aufhört, obwohl wir offensichtlich darauf aufmerksam geworden sind, schließen wir eher auf ein Tier. Wir öffnen gleichzeitig beide Seiteneingänge unseres Zeltes, können aber nichts mehr sehen. Stattdessen ist zu hören, dass sich die Geräusche fluchtartig entfernen. Wahrscheinlich haben wir das Tier verscheucht, denn im Anschluss bleibt es ruhig um uns herum.
Nach dem Essen sind wir noch ein bisschen wach, schreiben den Anfang dieses Blogbeitrags und schauen zum Einschlafen ein paar Best-Of-Videos der Simpsons im Internet.
Wie oben schon geschrieben, ist kein Tag wie der andere und es hätten genauso gut dreißig Kilometer mehr sein können oder zehn weniger. Wenn die Straße schlechter gewesen und der Wind noch ungünstiger gestanden hätte, wären wir vielleicht gar nicht so weit gekommen. Mit Rückenwind hätten wir das Hansaspiel vielleicht schon in Šiauliai gesehen. An einem spielfreien Tag hätten wir vielleicht keine drei Stunden Pause gemacht. Oder wir hätten vielleicht noch einen anderen schönen Ort gefunden, wo wir uns aufgehalten hätten.
Dieser Tag ist also nur ein kleiner Ausschnitt unserer Reise und wenn ihr Lust habt, mehr solcher Beiträge zu lesen, lasst es uns wissen. Dann können wir vielleicht einen ganz anderen Tagesablauf in Polen schildern.
In eigener Sache
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