Die polnische Ostseeküste II – oder: Schlechtes Wetter, schlechte Wege, schlechte Laune

Obwohl wir schon seit mehr als drei Wochen unterwegs sind, befinden wir uns noch in einer Lernphase. Klar, denn eine komplette Umgewöhnung von einem stationären Leben auf das Leben auf Weltreise mit dem Fahrrad dauert seine Zeit. In den letzten Tagen sind wir uns dessen bewusst geworden, dass wir nicht einfach nur drauflos fahren und das beste hoffen können, sondern etwas vorausschauender vorgehen müssen.

Wie wird das Wetter? Welchen Zustand haben die Wege? Wo wollen oder müssen wir auf jeden Fall halten? All das sind Dinge, um die wir uns bisher nicht allzu viele Gedanken gemacht haben, die uns in den letzten Tagen aber gehörig die Laune verdorben haben.

Und weil wir euch nicht nur die sonnigen Seiten und instagramfähigen Momente unserer Reise zeigen wollen, kommt hier mal eine Zusammenfassung unserer letzten Tage, die einfach nicht rund laufen wollten und uns an den Rand des Wahnsinns getrieben haben.

Gute Laune

Dabei fingen sie so gut an – am Morgen nach unserem letzten Beitrag trockneten wir gerade unsere Kleidung, das Zelt und die Taschen in der Sonne an unserem Fahrradrastplatz als einer der zahlreichen Passanten einfach mal anhielt und uns ansprach.

Sein Name war Andrzej und seine erste Frage war, ob wir schon gefrühstückt hätten. Als wir das verneinten, drückte er uns direkt einen Teil seines frisch gekauften Brotes in die Hand. Zu dem Zeitpunkt war es uns noch nicht ganz klar, aber er hatte uns das Frühstück gerettet. Nach einem Vorfall mit einer kaputten Bierdose in unserer Küchentasche am Vortag ist nämlich die Hirse, die wir eigentlich essen wollten, ungenießbar geworden und Andrzejs Brot rettete uns den Start in den Tag. (Und welcher Tag kann schon gut werden, wenn er mit einem schlechten Frühstück beginnt?)

Auch nachdem wir alles getrocknet und wieder eingepackt hatten, ging es gut weiter. Wir fuhren zwanzig Kilometer in einer Stunde, stellten bergab und mit Rückenwind einen Geschwindigkeitsrekord auf und waren auch sonst guter Dinge.

Schlechte Wege I

Irgendwann führte unser Weg allerdings auf eher unbefestigte Straßen – und mit „eher unbefestigt“ ist eigentlich „komplett matschig“ gemeint. Wir mussten immer mal wieder ein Stück schieben, weil der Matsch zu tief und fest war, um mit dem vollbepackten Fahrrad durchzukommen. An einer Stelle leistete Denis Hilfe bei einem steckengebliebenen Auto, das einfach nicht mehr aus dem Matsch kam.

In Ustka legten wir schließlich einen Halt an einem Supermarkt ein, um uns für den Abend zu versorgen, und danach fing es an. Im nächsten Wald mussten wir einige Mal anhalten. Grund: der Matsch von vorher war nun fest geworden und fing immer wieder an, an Denis‘ Reifen zu schleifen. Wir waren bestimmt eine halbe Stunde damit beschäftigt, mit dem Reifenheber den gesamten Matsch Nordpolens unter seinen Schutzblechen heraus zu pulen.

Es konnte im Übrigen immer nur einer arbeiten, weil der andere das Fahrrad halten musste, denn der Ständer hatte längst den Geist aufgegeben, was die Produktivität natürlich nicht unbedingt steigerte.

Dann drauf aufs Rad, zwanzig Meter gefahren und wieder runter. Irgendwas klickte an der Pedale. Mit einigen Werkzeugen versucht, etwas auszurichten. Keine Lösung, wieder zwanzig Minuten vergangen, ohne voran zu kommen.

Schlechte Wege II

Später kamen wir in einen Wald im Slowinski Nationalpark, in dem wir immer wieder absteigen mussten, um die Räder zu schieben, weil der Untergrund einfach zu trocken und weich war.

Danach folgte ein Plattenweg, mit dem nichts anzufangen war, denn die Plattenwege in Polen bestehen nicht einfach nur aus irgendwelchen großen Betonplatten mit ein paar Kanten, auf die man aufpassen muss. Nein, sie haben zusätzlich entweder zwei mal drei oder vier mal vier Löcher, weshalb es ununterbrochen ruckelt, was Material und Nerven mürbe werden lässt. Außerdem muss man immer, ohne Ausnahme, den Boden im Blick haben, denn die Platten machen auch gern mal riesige Absätze oder sind einfach komplett lose.

Wie auch immer, für die nächsten dreißig Kilometer brauchten wir viereinhalb Stunden. Die Stimmung war entsprechend im Eimer.

Schlechte Laune

Im Urlauberort Rowy gingen wir deshalb auf den Campingplatz, weil wir zusätzlich auch kein Wasser mehr hatten und Denis‘ E-Werk keinen Strom mehr produzierte, was relativ ungünstig war, denn sein Handy verbraucht beim Navigieren sehr viel Energie.

Wir ließen es uns in Rowy gut gehen, gingen essen und waren optimistisch, dass es am nächten Tag auf jeden Fall besser werden würde.

Tja, dem war nicht ganz so. Wir kamen bis ins 13 Kilometer entfernte Smołdzino, wo wir uns noch unterstellen konnten, ohne vom herannahenden Regen allzu sehr erfasst zu werden. Von dort fuhren wir einige Kilometer weiter nach Kluki und dann ging der Spaß los.

Schlechte Wege III

Wir können nicht sagen, dass wir es nicht gewusst haben, denn am Anfang des Sumpfgebietes hinter Kluki stand ein Schild, das darauf hinwies, dass der folgende Weg im schlechtesten Zustand war und es lokale Überschwemmungen gab. Wir wollten es trotzdem riskieren, einfach weil wir Lust drauf hatten, vom Plattenweg herunter zu kommen und um zu schauen, wie langsam man fahren muss, wenn der Weg den schlechtesten Zustand hat.

Mit dem Fahren war es nach wenigen hundert Metern vorbei, denn der Weg war eigentlich nur ein Trampelpfad durch das Gras, der an besonders sumpfigen Stellen über eine kleine Holzbrücke führte. Diese hatte allerdings in der Regel so hohe Kanten im Übergang von Gras zu Holz und umgekehrt, dass das wir absteigen mussten, um die Fahrräder und unsere Hintern zu schonen.

So schob also jeder sein Fahrrad und von Brücke zu Brücke erhöhte sich die Schwierigkeit, nicht abzurutschen und das Rad unbeschaded zu manövrieren. Irgendwann kamen dann noch wacklige Holzbalken ins Spiel, die dem ganzen Vorhaben den Rahmen eines Videospiels verliehen, in dem man nicht abstürzen darf.

Auch wenn es an einigen Stellen echt knifflig war, trockenen Fußes durch den Sumpf zu kommen, hat es im Großen und Ganzen Spaß gemacht, dieses Gebiet zu durchgequeren. Und gerade als es anfing, nervig zu werden, dass man nicht anständig vorankam, war der Sumpf vorbei.

Schlechte Wege IV

Und der Plattenweg begann. Jedes Mal geht man mit der naiven Einstellung an diesen Weg, dass er immer noch besser ist als komplett unbefestigter Boden, weil man wenigstens fahren kann. Relativ schnell kommt dann die Erkenntnis, dass man weiterhin nur langsam vorankommt und auf jedes Loch aufpassen muss. Und gerade am Ende des Sumpfes war der Boden noch so nass, dass die Platten einfach mal auf zehn Metern im Modder untergegangenen sind.

Auf einem nur wenige Kilometer langen, aber asphaltierten Stück Weg konnten wir unseren ersten großen Meilenstein feiern: Wir hatten 1.000 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt und waren wieder guter Dinge, dass wir nun endlich mal wieder vorankommen würden.

Schlechte Wege V

Und dann kam ein weiteres Mal der Slowinski Nationalpark. Wer Polen ein bisschen kennt, weiß, dass der Slowinski Nationalpark der Park ist, zu dem die großen Dünen gehören, allen voran die Düne bei Łeba. Ganz neu war uns das auch nicht, allerdings hatten wir den naiven Gedanken, dass man im Wald dieses Nationalparks nicht unbedingt davon ausgehen musste, fast ausschließlich auf Strandsand unterwegs zu sein.

Der aufmerksame Leser wird es ahnen: das war eine Fehleinschätzung. Wir versuchten alles Mögliche, fuhren im kleinsten Gang, umfuhren die schlimmsten Stellen auf Nebenwegen, aber es nützte alles nichts. Wir mussten wieder schieben. Wieder kein Vorankommen, wieder das ganze Gepäck mit der Kraft der Arme bewegen, wieder nur Schrittgeschwindigkeit. Es war zum Verzweifeln, denn ein Ende des Parks war nicht abzusehen.

Deutlich später als geplant erreichten wir an diesem Abend schließlich Łeba, das wir eigentlich hinter uns lassen wollten. Tja, statt eines wilden Platzes hinter Łeba zu suchen, gingen wir direkt wieder auf einen Campingplatz, denn wir hatten keine Nerven mehr, noch auf Schlafplatzsuche zu gehen.

Als wir uns eingerichtet und etwas gegessen hatten, trafen wir eine Entscheidung: Wir würden den Eurovelo 10 (Ostseeküstenragweg) verlassen und nicht weiter an der Ostsee entlang fahren. Stattdessen sollte der Weg über Lebork (Lauenburg) nach Gdansk (Danzig) führen. Wir hätten dann einige Kilometer weniger und würden vor allem auf befestigten Fahrradwegen fahren und mal wieder vorankommen.

Schlechtes Wetter I

Dass es am nächsten Morgen regnete, war zwar nervig – vor allem weil man viele Sachen wie z.B. das Zelt nass einpacken muss -, aber wir hatten einen schönen Radweg vor uns, trugen unsere Regenkleidung und versuchten, so wenig wie möglich zu fluchen.

Bis Lebork lief es dann auch mal wieder großartig. Wir legten zwischendurch eine Mittagspause an einer Buhaltestelle ein und erreichten die Stadt gegen 15:00 Uhr – damit hatten wir dreißig Kilometer in unter zwei Stunden Fahrtzeit geschafft, womit wir durchaus zufrieden waren. (Im Grunde ist es uns eigentlich egal, wie schnell wir wie weit fahren, solange wir Spaß daran haben, aber wir wollen euch mit diesen Daten ein Gefühl für unsere Reisegeschwindigkeit geben.)

In Lebork wollten wir in einen Elektromarkt, um eine neue Powerbank zu kaufen, weil eine andere den Geist aufgegeben hatte. In dem ausgesuchten Laden hatten wir kein Glück, was aber nicht allzu schlimm war, denn gegenüber befand sich ein Fahrradladen, in dem Denis einen neuen Fahrradständer bekam, was die Stimmung weiter aufhellte.

Danach wollten wir kurz in einen Supermarkt und dann weiter. Als die Einkäufe erledigt waren, wollten wir ein paar Minuten warten, um eine dicke Regenwolke passieren zu lassen und danach sollte es auch nicht mehr regnen.

Schlechtes Wetter II

Auch hier erkennt der aufmerksame Leser den Konjunktiv und ahnt, was kommt. Es hörte nicht auf, zu regnen. Nein, es regnete sich richtig schön ein und kam auch zwischendurch richtig schön sturzflutartig von oben.

Wir beschlossen trotzdem, einfach weiterzufahren, wir hatten ja Regenkleidung. Tja, gerade als Denis seine Regenhose aus der Tasche holen wollte, erkannte sein neuer Fahrradständer, dass er das Gewicht der Taschen eigentlich doch gar nicht tragen konnte und knickte ein wie ein Grashalm im Wind. Hätten wir irgendwas zur Hand gehabt, das wir nicht mehr hätten brauchen können, wäre dieser Gegenstand mit voller Wucht gegen die nächste Wand geflogen.

Zum Glück war der Fahrradladen nur wenige hundert Meter entfernt, weshalb wir beschlossen, schnell ohne Regenhosen dorthin zu fahren und uns anzuziehen, während ein neuer Ständer montiert wird. Leider öffnete sich in den drei Minuten, die wir bis zum Fahrradladen brauchten, der Himmel so stark, dass wir komplett durchnässt dort ankamen. Als der Ständer montiert war, regnete es immer noch wie in besten Monsumzeiten. Weil der Laden um 18:00 Uhr schloss, mussten wir dessen schützendes Dach leider verlassen und stellten uns stattdessen vollkommen durchnässt und frierend an einer Unterführung unter, die schon so vollgelaufen war, dass die Straße einseitig gesperrt war.

Weil wir einfach nicht weiter wussten und uns nicht vorstellen konnten, selbst vollkommen durchnässt in ein nasses Zelt zu steigen, dass an einem immer noch nassen Ort aufgestellt werden musste, brachen wir die Tour für diesen Tag nach nur 34 Kilometern ab und zogen in ein Appartement, in dem wir duschen, uns aufwärmen und Wäsche waschen konnten. Auch wenn wir kreativ werden mussten, wie diese aufzuhängen war, denn im Gegensatz zu einer Waschmaschine gehörte ein Wäscheständer nicht zur Ausstattung unseres Appartements.

Besseres Wetter, bessere Wege, bessere Laune

Wir sind nun wie geplant auf richtigen Straßen unterwegs und dabei, die Gegend um Lebork herum zu verlassen. Wir versuchen, auf kleinere Straßen auszuweichen und ein paar Orte zu durchqueren, um mehr von Land und Leuten mitzubekommen als im Wald. Außerdem versuchen wir, gelassen zu bleiben, wenn mal wieder ein Stück zu schieben ist oder jemandem in der Pfütze das Fahrrad umkippt.

Wir haben außerdem erkannt, was für eine Katastrophe schlechtes Wetter ist und wie sehr es hilft, einfach mal in der Sonne zu sitzen und eine Pause zu machen.

Bis nach Gdansk (Danzig) haben wir es heute nicht wie geplant geschafft. Das ist aber nicht weiter tragisch, denn unsere Anfragen bei warmshowers-Hosts waren nicht erfolgreich und wir konnten uns in Lebork ausruhen und sortieren.

Nun geht es weiter in Richtung Osten, denn wir haben ein Visum für Kaliningrad erhalten. (Seit 1.7.2019 geht das auch für EU-Bürger relativ einfach online.) Damit werden wir die EU auf dieser Reise zum ersten Mal verlassen, wenn auch nur für wenige Tage, denn allzu groß ist Kaliningrad ja nicht.

Ein paar Daten

  • Kilometerstand: 1.104
  • Strecke (grob): Darłowo – Ustka – Rowy – Łeba – Lebork – Szemud
  • Übernachtungen: 2 x Zelt, 1 x Appartement

In eigener Sache

Wie ihr vielleicht wisst, finanzieren wir unsere Fahrradweltreise komplett selbst und haben keinen großen Sponsor, der uns versorgt. Wir haben einen Betrag gespart, mit dem wir erstmal eine Weile leben können. Dennoch werden wir bald versuchen, über unseren Blog einige Einnahmen zu generieren, um die Website am Laufen zu halten und einige Kosten zu decken, die auf der Reise anfallen. Erfahrungen anderer Reisender zeigen, dass man durchschnittlich mit etwa zehn Euro pro Person und Tag rechnen kann, womit dann neben der Verpflegung auch Anschaffungen, Reparaturen, Visa etc. abgedeckt sind. Falls ihr Lust habt, uns dabei zu unterstützen, könnt ihr ganz einfach über[diesen Link]einen selbst bestimmten Betrag per Paypal an uns senden. Wir freuen uns über jeden Euro!

Von Anika

Irgendwas mit Fahrradfahren.

2 Kommentare

  1. Hallo,

    ich sitze gerade in Eggesin beim Kieferorthopäden im Wartezimmer und lese Eure Reiseberichte. Schade, dass Ihr in Polen so schlechtes Wetter hattet. Ihr hättet Euch Soppot anschauen sollen . Viel Spass noch und schreibt schön weiter Eure Berichte. Ich bin schon gespannt!

    1. Hallo Andreas,
      vielen Dank! Ja, wir hatten einige Tage in Polen, die nicht so schön waren, aber der Großteil unserer Zeit dort hat uns gefallen. Und aus den anderen Tagen haben wir gelernt. 😉
      Seit heute sind wir zurück in Polen und gespannt, wie der Osten des Landes so ist.

      Einen schönen Abend dir und wir hoffen, dass dich der Kieferorthopäde nicht zu sehr gequält hat.

      Viele Grüße
      Denis and Anika

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