Serbien I – oder: Herzliche Menschen und geheimnisvolle Wege

Serbien empfängt uns mit großartigem Wetter, einem freundlichen wie interessierten Grenzbeamten und Kreisligafußball. Im Grenzort Ðala sind der örtliche Fußballplatz und das Geschehen darauf von der Hauptstraße aus zu sehen und damit natürlich unser allererstes Ziel in diesem Land.

Glotze aus, Stadion an

Der FK Graničar empfängt den FK Hajduk Podlokan und die Begegnung hat alles zu bieten, was ein echter Kreisligakick braucht: zu enge Trikots über zu runden Bäuchen, einen offenen Disput zwischen Trainer und Torwart, einen Zehner, der völlig außer Atem ist als er die Eckfahne erreicht, um eine Ecke auszuführen, und – nachdem diese in einen Angriff des Gegners umgeschlagen ist – nicht mal versucht, zurück zu laufen.

Wir sind entzückt von den gemauerten Unterständen der Trainerbänke, der Tribüne hinter dem Zaun und dem allgemeinen Spielgeschehen, reißen uns aber nach zehn Minuten und einem Elfmeter vom Spiel los, denn wir sind am Abend mit einem Warmshowers-Host verabredet, der noch über dreißig Kilometer entfernt ist. 

Direkt im nächsten Ort verzögert sich die Weiterfahrt allerdings beim nächsten Spiel, das um einiges schneller und geschickter vonstatten geht und mit einer noch großartigeren Kulisse aufwartet. Am Rande des Ortes gelegen erstreckt sich hinter dem Fußballplatz nichts als leere Weite und hinter den Trainerbänken beginnt die Kuhweide, auf der mehr Kühe stehen als Zuschauer auf der Tribüne sitzen. 

Pálinka und andere ungarische Köstlichkeiten

Glücklicherweise laufen uns keine weiteren Fußballspiele über den Weg, sodass wir rechtzeitig in Senta bei unserem Host Szilveszter ankommen. Szilveszters Familie gehört zur ungarischen Minderheit in Serbien und empfängt uns mit einem ganzen Tisch voller ungarischer Köstlichkeiten, die seine Mutter selbst gekocht hat, weil sein kleiner Bruder genau an diesem Tag zurück zur Uni gefahren ist und natürlich nicht ohne Essen für eine ganze Woche losgeschickt werden kann. Das scheint auch überall auf der Welt gleich zu sein. 

Bevor wir uns über die Reste hermachen, gibt es einen Pálinka – ein ungarischer Obstler – vom Vater mit den Worten „gute Schnaps“ und einem ungarischen Gedicht, das ungefähr so geht: „Wer Pálinka trinkt, stirbt früher. Pálinka ist schlecht für die Gesundheit. Schlaue Menschen trinken keinen Pálinka.“ Prost. 

Wir verbringen einen interessanten Abend mit Szilveszter, an dem er uns von seinen Ideen erzählt, die er hat, um den Hof, auf dem er mit seinen Eltern lebt, umweltfreundlicher zu gestalten. Er benutzt z.B. eine traditionelle Methode zum Dämmen eines alten Schuppens, aus dem er eine Sauna mit Brotofen machen will. Auf seinen Beeten wächst regionales Gemüse und er weiß, welche Bäume im Garten eigentlich nicht von hier sind und den Tomaten die Nährstoffe klauen. 

Am nächsten Morgen frühstücken wir gemeinsam und Szilveszter hilft uns sogar noch dabei, eine serbische Sim-Karte zu kaufen und zu aktivieren, was ohne einschlägige Sprachkenntnisse gar nicht so einfach ist. Sein Hund begleitet uns auf dem Weg zum Supermarkt, weil er Lust darauf hat und weiß, an welcher Stelle er über den Zaun springen kann. 

Überraschung!

Für uns geht es anschließend weiter in Richtung Novi Sad. Die Fahrt ist außergewöhnlich langweilig, weil wir einer viel befahrenen Straße folgen, die ausschließlich an Feldern vorbei führt und nur selten einen Ort durchquert. Die einzige Abwechslung sind die Leute, die uns regelmäßig anlächeln, grüßen, hupen, winken und uns damit von Anfang an das Gefühl geben, dass wir hier in Serbien mehr als willkommen sind.

Eigentlich wollen wir in der Stadt Bečej nur eine Pause am Fluss Tisa (Theiß) machen, um mal etwas anderes zu sehen als Straße und Feld, werden dann aber – wie in letzter Zeit relativ häufig – von der immer früher einsetzenden Dämmerung überrascht als wir uns mit Wasser und Lebensmitteln versorgen. Wir suchen also spontan am Ortsrand eine Übernachtungsmöglichkeit und finden am Steg eines Hausbootes eine einigermaßen sichtgeschützte Stelle für uns und das Zelt. 

Als wir am nächsten Morgen zurück auf die Straße wollen, werden wir von einem ungewöhnlich großen Haufen Schlamm überrascht, der am Vorabend noch nicht da war. Der Schlamm wird geradewegs aus dem Fluss auf unseren Weg gebaggert und ist daher noch schön frisch und nass als wir dichter kommen. Wir kommen daran vorbei, ohne selbst allzu schmutzig zu werden, die Fahrräder sind aber erstmal so voller Matsch, dass sie sich kaum schieben lassen, denn das Zeug klebt zwischen Reifen und Schutzblech und macht keine Anstalten, da von selbst wieder raus zu kommen. 

Wie immer in solchen Fällen gehen wir mit unseren Reifenhebern an die Arbeit und versuchen, mittels dieser den Schlamm aus den verklebten Zwischenräumen zu entfernen. Nach kurzer Zeit müssen wir allerdings feststellen, dass das heute gar nicht so einfach ist, denn der Schlamm ist außergewöhnlich klebrig.

Glücklicherweise aber befinden wir uns in Serbien, wo sich immer jemand findet, der hilft. Eine Frau, die gerade nebenan in ihrem Garten arbeitet, bietet uns ihren Gartenschlauch an und lädt uns anschließend noch zu einem Getränk am nächsten Tag ein, was wir leider ablehnen müssen, weil wir noch an diesem Tag in Novi Sad eintreffen wollen. 

Novi Sad

Über eine Straße, die dem Verkehrsaufkommen nicht im Mindesten gewachsen ist, erreichen wir Novi Sad am Nachmittag und das erste, was wir von der Stadt sehen, ist eine inoffizielle Müllkippe neben einem Wohnhaus, die so breit ist, dass sie den Fahrradweg bedeckt, und auf der ein Kind auf der Suche nach etwas Verwertbaren zu sein scheint. Eine riesige Scheiße auf so vielen Ebenen.

Wir kommen in Novi Sad auf dem Gelände eines Fahrradkuriers unter, auf dem alle Radreisenden einen Schlafplatz bekommen können, wenn sie es denn wollen. Die Tische und Bänke im Garten müssen wir uns mit einigen Hunden und Katzen teilen und das Schlafzimmer mit einem Akkordeon spielenden Franzosen, der durch die Balkanländer fährt und mit Leuten über die hiesige Volksmusik spricht, wofür er sogar Serbisch lernt.

Novi Sad stellt sich später als eine tolle und sportlich sehr aktive Stadt heraus. Bevor wir uns den Hügel zur Festung hinauf quälen – Kopfsteinpflaster auf zehn Prozent Steigung – , radeln wir durch einen Park an der Donau, der neben Fußgänger- und Fahrradweg eine Laufstrecke aus Tartan und viele Fitnessgeräte, Sportplätze und Tischtennisplatten hat, an denen alle Stadtbewohner zwischen 3 und 93 Jahren zusammenkommen und Sport machen.

Hinter Novi Sad wird es dann etwas interessanter auf und neben der Straße als wir am nächsten Nachmittag die Donau erreichen. Wir fahren über relativ steile Serpentinen durch einen kleinen Ort ans Flussufer und finden auf der Karte einen Weg, den wir für die Dorfstraße halten. Weil wir die Donau noch ein wenig im Blick behalten wollen und keine Lust haben, die steilen Serpentinen zurück zu fahren, entscheiden wir, dass wir lieber auf der Dorf- als auf der Hauptstraße bleiben wollen.

Ich spring von Level zu Level zu Level… 

Es stellt sich dann allerdings heraus, dass wir auf diesem Weg deutlich mehr Höhenmeter machen müssen als auf dem Weg zurück zur Hauptstraße und die Donau auch nicht mehr zu sehen ist. Stattdessen folgen wir nun einem kleinen Pfad, der regelmäßig relativ steil auf und ab geht und ebenso regelmäßig immer schwieriger zu fahren ist – er variiert zwischen Sand, Schotter und Platten in verschiedensten Gütestufen und Härtegraden.

Jeder Hügel ist ein neues Level bis ziemlich zum Schluss der Endboss kommt: auf einem Grundstück ohne Zaun laufen bestimmt zehn Hunde frei herum und bellen uns an was das Zeug hält. Wir nutzen unsere Skills im Umgang mit Hunden [anschreien, dabei versuchen möglichst viel Autorität auszustrahlen und mit dem Arm anzeigen, in welche Richtung sie verschwinden sollen] und besiegen damit unseren Endgegner gleich beim ersten Mal ohne ein Leben zu verlieren. 

Zur Belohnung bekommen wir etwas später zwei Äpfel von einer Frau geschenkt, die uns schon kommen gesehen haben muss, uns winkend hinterher läuft und ruft, dass wir kurz anhalten sollen. Obwohl sich die Prinzessin in einem anderen Schloss befindet, sind wir absolut begeistert von dieser Geste und vollkommen sicher, den richtigen Weg gewählt zu haben, auch wenn der andere wohl deutlich einfacher gewesen wäre.

Jugend forscht

Am Abend wagen wir noch ein kleines Experiment. Wir fahren durch eine Kleinstadt, die um die Feierabendzeit sehr belebt ist, weil die meisten Leute auf Bänken vor ihren Häusern sitzen und sich mit ihren Nachbarn unterhalten oder einfach das Geschehen beobachten. Wir wollen jeder einzelnen dieser Bankgesellschaften, die uns sieht, zuwinken, um zu sehen, wie groß die Zurückwinkquote ist. Am Ortsausgang müssen wir gar nicht großartig rechnen, denn sie liegt ganz genau bei hundert Prozent und eigentlich sagt das schon alles über die Freundlichkeit der Menschen hier. 

Wir verbringen die Nacht mitten auf einem Feld unter dem einzigen Baum weit und breit und können beobachten, wie auf den Feldern um uns herum in mehreren riesigen Feuern die Erntereste und wahrscheinlich noch einiges mehr verbrannt werden. 

Am nächsten Tag kämpfen wir uns durch immer dichter werdenden Verkehr auf immer schlechter werdenden Wegen nach Belgrad vor und müssen erstmal eine längere Pause an der Donau einlegen, um die Köpfe wieder frei zu bekommen. In einem fort von Autos, Bussen, LKW und anderen Vehikeln mit fragwürdigen Abgaswerten überholt zu werden zehrt nämlich echt an den Nerven. 

Fahrstühle und Menschen

Glücklicherweise verläuft ein toller Radweg an der Donau entlang bis in die Innenstadt, auf dem es sogar einen Fahrstuhl nur für Radfahrer gibt, in den wir uns mit zwei anderen Radlern quetschen. 

Nachdem wir die Festung aus eigener Kraft erklommen haben [Warum sind die eigentlich immer so weit oben und nur über Kopfsteinpflaster zu erreichen?], folgt an unserem Hostel die zweite Fahrstuhlfahrt des Tages, denn wir müssen in den dritten Stock. Weil dieser Fahrstuhl nicht unbedingt auf zwei voll beladene Reiseräder ausgelegt ist – im Grunde ist er gar nicht auf Fahrräder ausgelegt -, müssen wir ein bisschen improvisieren und die Räder einzeln, ohne Gepäck und hochkant befördern.

Oben angekommen können wir feststellen, dass wir nicht die einzigen radfahrenden Gäste sind, denn auf dem Balkon stehen schon zwei andere Reiseräder. Eins gehört einem Schweizer, der von Griechenland aus nach Hause fahren will, und das andere einem Japaner, der schon seit zweieinhalb Jahren unterwegs ist, von Alaska nach Argentinien und von Portugal nach Serbien gefahren ist und demnächst nach Hause fliegen will.

Wir kommen relativ schnell mit der Besitzerin des Hostels ins Gespräch, die das Hostel vor fünf Jahren vollkommen ohne Vorkenntnisse und Erfahrungen eröffnet hat, einfach weil sie keine Lust mehr auf ihren alten Job als Assistentin eines Ministers hatte. Derzeit sucht sie einen Manager für das Haus, denn sie will im nächsten Frühjahr auf eine sehr kleine kroatische Insel ziehen, wo Freunde von ihr gerade einen Working Space für Digitale Nomaden aufbauen, an dem es aber Yoga-Veranstaltungen und ähnliches geben soll. Und irgendwie fühlen wir uns als wären wir zur richtigen Zeit im richtigen Hostel bei den richtigen Leuten gelandet.

Fahrrad vs. Fußweg

Am nächsten Morgen wollen wir Belgrad wieder verlassen und haben große Mühe, aus der Stadt heraus zu kommen. Es gilt nämlich einen großen Kreisverkehr zu kreuzen, auf dem wir theoretisch fahren könnten, praktisch aber doch zu sehr an unseren Leben hängen. 

Unsere These: Ein Fußgänger muss auch irgendwie auf die andere Seite kommen, also folgen wir den Gehwegen. Wer Städte mit einem einschlägigen sowjetischen Charakter kennt, weiß, dass große Straßen dort in der Regel nicht über-, sondern unterquert werden. Die Fußgängerunterführungen haben eine kleine Rinne, durch die gerade so ein Fahrradreifen passt, und nachdem wir nur einmal auf der falschen Seite aufgetaucht sind und ein freundlicher Belgrader beim Hochschieben geholfen hat, haben wir einen Teil der Überquerung schon mal geschafft.

Wir folgen wie geplant dem Fußweg auf eine Brücke und stellen an deren Ende fest, dass wir eine Querstraße nehmen müssen, die zwei Stockwerke weiter unten verläuft und nur über ein Treppenhaus erreicht werden kann, in dem wir äußerst vorsichtig manövrieren müssen, um niemanden anzufahren und die Taschen an den Betonwänden nicht zu beschädigen. 

Unten angekommen müssen wir nur noch am Stadion Rajko Mitic vorbei und einen viel zu steilen Berg auf einer viel zu engen Straße hochfahren, weil der Gehweg zugeparkt ist. Und dann frag nochmal einer, warum wir nicht gern in der Stadt fahren.

Wir schieben die Räder schließlich über einen riesigen Friedhof und kommen so weit an den Stadtrand, dass es wieder große Parkflächen und genügend Luft zum Atmen gibt. Zum Abschied fahren drehen wir eine Runde durch den Park auf der Insel der Sava und verlassen die Stadt.

Ein paar Daten

  • Strecke: Ðala – Bečej – Novi Sad – Belgrad
  • Kilometerstand: 6.184 km
  • Übernachtungen: 2 x Zelt, 2 x Warmshowers, 1 x Hostel
  • Zeitraum: 13. – 18. Oktober 2019

In eigener Sache

Wie ihr vielleicht wisst, finanzieren wir unsere Fahrradweltreise komplett selbst und haben keinen großen Sponsor, der uns versorgt. Wir haben einen Betrag gespart, mit dem wir erstmal eine Weile leben können. Dennoch werden wir bald versuchen, über unseren Blog einige Einnahmen zu generieren, um die Website am Laufen zu halten und einige Kosten zu decken, die auf der Reise anfallen. Erfahrungen anderer Reisender zeigen, dass man durchschnittlich mit etwa zehn Euro pro Person und Tag rechnen kann, womit dann neben der Verpflegung auch Anschaffungen, Reparaturen, Visa etc. abgedeckt sind. Falls ihr Lust habt, uns dabei zu unterstützen, könnt ihr ganz einfach über [diesen Link] einen selbst bestimmten Betrag per Paypal an uns senden. Wir freuen uns über jeden Euro!

Von Anika

Irgendwas mit Fahrradfahren.

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