Georgien II – oder: Über das Weintrinken, georgische Autos und Stalin

Wir beginnen unseren Tag im Garten unseres Warmshowers-Hostels in Khashuri mit dem Auswechseln der Bremsbeläge an unseren Fahrrädern, was ziemlich langwierig und nervenaufreibend ist, weil sich die Bremsen anschließend nicht mehr so richtig einstellen lassen und schleifen. Weil die neuen Beläge deutlich stärker sind als die alten und die Räder wieder ein bisschen eiern, ist das reine Präzisionsarbeit, für die wir heute beide nicht die nötige Geduld aufbringen können.

Immerhin sorgen die beiden Hunde, die währenddessen im Garten spielen, für etwas Abwechslung. Die beiden sind noch jung, ziemlich neugierig und ebenso kontaktfreudig, was einen von uns in den Wahnsinn treibt und den anderen amüsiert.

Gegen Mittag laufen die Räder wieder ungestört zwischen den Bremsen, sodass wir uns auf den Weg machen können. Wir wollen heute nach Borjomi fahren, was etwa dreißig Kilometer von Khashuri entfernt und nur über eine einzige und daher relativ stark befahrene Straße erreichbar ist.

Pläne kommen, Pläne gehen…mal wieder

Eigentlich hatten wir mal geplant, von Borjomi aus weiter in Richtung Süden nach Armenien zu fahren, eine Runde durch das Land zu drehen und schließlich zurück nach Georgien und  dann weiter nach Aserbaidschan zu radeln. Nachdem wir aber die örtlichen Wetterberichte ein paar Tage lang beobachtet haben, mussten wir feststellen, dass gerade einfach nicht die Zeit fürs Fahrradfahren in Armenien ist.

Für Gjumri, die erste Stadt hinter der Grenze, sind zum Beispiel in den nächsten zwei Wochen regelmäßig minus zwanzig Grad angesagt, die Höchsttemperaturen sollen tagsüber bei minus acht Grad liegen. Wir wissen, dass Armenien ein wunderschönes und interessantes Land ist, denn wir sind schon mal dort gewesen, aber schon wieder Fahrradfahren im Winter? Anstrengend!

Deswegen haben wir mal wieder einen Plan über Bord geworfen und wollen nun stattdessen nach Borjomi fahren, versuchen, die Fahrräder dort für ein paar Tage unterzubringen, und einen Ausflug ins Skigebiet Bakuriani unternehmen. Dort wollen wir ein wenig Ski fahren und uns damit hoffentlich endgültig vom Winter und der langen Unterwäsche verabschieden. Und weil es von Bakuriani aus keinen anderen sinnvollen Weg nach Tiflis gibt, werden wir anschließend zurück über Borjomi nach Khashuri fahren, um dort auf die Straße in die Hauptstadt zu gelangen.

Aufwärts nach Borjomi

Der Weg nach Borjomi geht zwar stetig bergauf, aber das Wetter ist zur Abwechslung mal so schön, dass das gar nicht stört. Wir lassen uns viel Zeit und freuen uns über den tollen Blick auf die eingeschneiten Berge und den Fluss, dem wir folgen.

Nach einer kurzen Mittagspause an einer Bushaltestelle werden wir von einem weißen Camper mit Schweizer Nummernschild und winkenden Insassen überholt. Michèle und Silvan, die uns am Vortag im Hostel empfangen und mit einem heißen Tee vor dem Erfrieren gerettet haben, wollen auch für ein paar Tage Skifahren. Sie sind allerdings nicht auf dem Weg nach Bakuriani, sondern wollen zum Goderdzi Pass fahren, der noch etwas weiter entfernt und deutlich höher gelegen ist.

Ursprünglich wollten wir mal genau diesen Pass nutzen, um Georgien von Batumi aus in Richtung Osten zu durchqueren. Wir haben dann aber in einigen Berichten gelesen, dass der Pass üblicherweise bis in den März hinein unpassierbar ist, weil dort oben gern mal vier Meter Schnee liegen und die Straßen zu einem großen Teil unbefestigt ist. Daraufhin haben wir uns für die bequemere, weil weniger hoch gelegene und asphaltierte Alternative über Sestaponi entschieden.

Vino und sein Hauswein

Kurz vor Borjomi werden wir von einem fröhlichen Mann, der an einer Tankstelle steht, aus dem Verkehr gewunken. Er ist ziemlich gut drauf, strahlt übers ganze Gesicht und scheint mit der ganzen Familie auf einem Wochenendausflug zu sein, denn neben ihm stehen zwei Autos, ein weiterer Mann und Frauen und Kinder, die abwechselnd Selfies mit dem Schnee und uns machen.

Er ist der kommunikativste – und betrunkenste – der kleinen Reisegruppe und stellt uns sofort die üblichen Fragen nach unserem Ziel und unserer Herkunft. Wir stellen uns natürlich gegenseitig vor, vergessen seinen Namen aber im gleichen Moment, in dem er ihn ausgesprochen hat. Wir erinnern uns noch, dass es ein sehr kurzer Name mit zwei Silben ist, der mit einem o endet, und entscheiden uns später, dass wir ihn hier einfach “Vino” nennen wollen.

Die Kommunikation mit Vino erfolgt auf Russisch, weshalb wir nicht allzu viel verstehen und noch weniger erzählen können. Was wir allerdings verstehen, ist die Frage, ob wir mal seinen Hauswein ausprobieren wollen. [Wir haben relativ schnell gelernt, dass in Georgien fast jeder Haushalt seinen eigenen Wein herstellt und ihn “Hauswein” nennt.]

Im Kofferraum liegen ein paar Plastikflaschen, die früher mal mit Brause gefüllt waren und jetzt jeweils anderthalb Liter Weißwein beinhalten. Ein Becher ist auch schnell organisiert, denn es gibt nur einen und der befindet sich stets in Griffweite. Seine Dellen und Risse erzählen uns die Geschichte seines kurzen, aber offenbar bewegten Lebens. Nacheinander trinken wir also alle aus dem Becher [Ja, damals im Februar hat man sowas durchaus noch gemacht.] und stellen fest, dass Vino zu wissen scheint, wie man Wein herstellt.

Herzattacken und fehlende Stoßstangen

Als wir ausgetrunken und Selfies mit allen Familienmitgliedern in verschiedenen Kombinationen aufgenommen haben, will die Familien wieder aufbrechen. Daraufhin wankt Vino zurück zu seinem Auto und öffnet die Tür vorne links. Wir machen beide erstmal große Augen, weil wir nicht den Eindruck haben, dass Vino noch Auto fahren sollte, sehen dann aber schnell, dass sich das Lenkrad auf der rechten Seite befindet.

Auf georgischen Straßen sind sehr viele Autos zu finden, die aus Europa importiert wurden. Und weil gar nicht so wenige davon aus Ländern mit Linksverkehr kommen, ist es immer ein bisschen Zufall, auf welcher Seite der Fahrer sitzt. Das ist in Situationen wie diesen durchaus verwirrend und sorgt auch beim Fahren hin und wieder mal für eine kurze Herzattacke, wenn einem in der Kurve ein Auto entgegenkommt, und auf der gewohnten Fahrerseite jemand sitzt, dessen Hände kein Lenkrad, sondern eine Zigarette und ein Handy halten.

Viele der importierten Autos sind Unfallwagen und verfügen über kleinere oder größere Defekte. Gerissene Frontscheiben sind absolut keine Seltenheit und fehlende Stoßstangen sogar noch weiter verbreitet. Die Fahrer der Autos ohne Stoßstangen fahren oft besonders offensiv, weil sie ja nichts mehr zu verlieren haben, und bringen ihre Kennzeichen gerne mit Kabelbindern oder Panzertape direkt an der Karosserie an.

Zu Gast bei Julie und Albert

In Borjomi haben wir ein Zimmer in der Wohnung eines älteren Ehepaars gebucht, die sich im höchsten, sowjetischsten und buntesten Wohnblock der Stadt befindet. Albert empfängt uns vor dem Haus und zeigt uns den Keller, in dem wir die Fahrräder und die Taschen lassen können, die wir nicht benötigen. Wenig überraschend befindet sich im gleichen Keller das Depot für den Hauswein, der in riesigen Plastikkanistern gelagert wird, bevor er ihn in Glasflaschen abfüllt, die in der Wohnung praktischer zu handhaben sind.

Auf den Weg nach oben in den zwölften Stock führt uns Albert in die Funktionsweise des Fahrstuhls ein, der nur dann fährt, wenn man ihn mit einem Fünf-Tetri-Stück (ca. 1,5 Cent) füttert. Seine Frau Julie wartet bereits in der Wohnung auf uns und der Küchentisch ist bereits mit Tee, selbstgebackene Kekse und dem Hauswein bestückt noch bevor wir uns in unserem Zimmer eingerichtet haben.

Borjomi ist ein traditionsreicher Kurort, den schon die russischen Zaren bereist haben, und bekannt für das gleichnamige Mineralwasser, dem man heilende Kräfte nachsagt und das in  die ganze Welt exportiert wird. Es macht damit etwa zehn Prozent des georgischen Exportvolumens aus, was eine ganze Menge über die hiesige Wirtschaftskraft verrät.

Wir unternehmen am Abend noch einen Spaziergang durch die Stadt, in der an allen Ecken Glühwein verkauft wird, und laufen eine Runde durch den Kurpark. Es ist hier alles ein bisschen wie in einem Wintermärchen mit dem Fluss, der durch die Stadt verläuft, dem Schnee, der überall liegen bleibt, und den beleuchteten Pavillons im Park.

Frühstück auf Georgisch

Am nächsten Morgen bereitet uns Albert ein reichhaltiges Frühstück bestehend aus Buchweizen, Reis und selbstgemachten Teigwaren. Bevor wir aufbrechen, stellt er uns ein kleines Kristallfläschchen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit und vergoldeten Gläschen auf den Tisch und wir finden heraus, dass Albert nicht nur seinen Wein, sondern auch seinen Chacha (georgischer Weinbrand) selbst herstellt.

Wir lassen die Fahrräder und Taschen für eine Nacht bei Albert und Julie und reisen mit leichtem Handgepäck nach Bakuriani. Eigentlich wollen wir mit der Schmalspurbahn fahren, die die dreißig Kilometer in etwa zweieinhalb Stunden zurücklegt, was für uns nach einer angenehmen Geschwindigkeit klingt. Als wir am Bahnhof ankommen, erfahren wir allerdings, dass die Bahn heute aufgrund von technischen Problemen nicht verkehrt. Stattdessen stehen Kleinbusse bereit, die die Fahrgäste auf den Berg bringen. Das ist zwar nicht ganz so romantisch, geht dafür aber deutlich schneller.

Bretter statt Reifen

Oben angekommen bringen wir schnell unser Gepäck ins Hostel, ziehen uns so gut wie alle Sachen an, die wir dabei haben, und machen uns auf den Weg zu den Pisten. Das Skigebiet Bakuriani besteht aus zwei kleineren Ressorts, die noch nicht miteinander verbunden sind. Sie heißen Didveli und Kokhta-Mitarbi, und weil wir uns den ersten Namen besser merken und aussprechen können, fahren wir am ersten Tag nach Didveli. Nach Kokhta-Mitarbi wollen wir vielleicht am nächsten Tag fahren, falls wir es so aussprechen können, dass der Taxifahrer uns versteht. [Die georgische Sprache ist ein Albtraum aus Kr-, Chr- und Sch-Lauten, weshalb für einen Ausländer eine Chance von etwa 98 Prozent besteht, ein Wort falsch auszusprechen.]

Das Ausleihen der Skier und die Skipässe kosten nur einen Bruchteil dessen, was in den Alpen verlangt wird, die Lifte sind trotzdem modern und die Pisten wunderbar präpariert. Es gibt leider nur wenige verschiedene Abfahrten, von denen einige noch gesperrt sind, dafür aber nicht allzu viele andere Skifahrer, was doch sehr angenehm ist.

Gleich nach der ersten Abfahrt legen wir eine Mittagspause an einer Hütte ein, wo wir etwas überraschend Michèle und Silvan aus dem Hostel in Khashuri wiedertreffen. Die beiden haben es trotz Schneeketten nicht auf den Goderdzi Pass geschafft und wollen jetzt ebenfalls zwei Tage in Bakuriani Ski beziehungsweise Snowboard fahren, sodass wir ab diesem Zeitpunkt zu viert unterwegs sind.

Am ersten Tag haben wir ein bisschen Pech mit dem Wetter, denn nach dem Essen zieht es zu und wird richtig kalt. Und obwohl wir so gut wie alle Kleidungsstücke übereinander angezogen haben, die wir noch besitzen, sind wir richtig gut durchgefroren als die Lifte am Abend schließen. Was es bedeutet, dass wir fast alles tragen, was wir besitzen, kommt hier mal am Beispiel Anika:

Mütze, Buff (Schlauchschal, den man auch über Gesicht und Kopf ziehen kann), dünnes Unterhemd, Thermounterhemd, zwei Pullover, Hansa-Trikot, dicke Baumwollstrickjacke, Softshelljacke, fingerlose Fahrradhandschuhe, Thermohandschuhe, Arbeitshandschuhe, lange Unterhose, dünne Trekkinghose, dicke Trekkinghose, drei Paar Socken, davon ein Paar Skisocken.

Am zweiten Tag haben wir deutlich mehr Glück mit dem Wetter und können bei strahlendem Sonnenschein und bitterkaltem Wind in Kokhta-Mitarbi [Wir haben einen Taxifahrer gefunden, der uns verstanden hat.] über die Pisten brettern, den Ausblick auf die Umgebung feiern und sogar kleine Wirbelstürme auf den höheren Gipfeln beobachten.

Michèle und Silvan nehmen uns am Abend in ihrem Camper mit ins Tal nach Borjomi, bevor sie selbst zurück nach Khashuri fahren. Sie erzählen uns, dass sie am Abend noch eine kleine Gruppe Radfahrer im Hostel erwarten, die wohl auch auf dem Weg nach Tiflis ist, und wir sind beruhigt, dass wir nicht die einzigen sind, die sich derzeit mit dem Fahrrad durch Georgien kämpfen.

Gefrorene Pfützen und Schnee

Nachdem wir ein paar Einkäufe erledigt und ein Fünf-Tetri-Stück für den Fahrstuhl aufgetrieben haben, laufen wir zurück zu Julie und Albert, die uns wieder warm und herzlich empfangen und sich freuen, uns wiederzusehen. Julie erzählt uns, dass sie Angst um uns hatte, weil wir in der letzten Nacht nicht da waren, und wir haben das Gefühl, dass da ein Missverständnis bei der Übersetzung entstanden ist.

Am nächsten Morgen gibt es nochmal ein deftiges Fahrradfahrer-Frühstück von Albert – diesmal ohne den Selbstgebrannten – und dann geht es auf die Straße. Bis nach Tiflis sind es jetzt noch 190 Kilometer und weil wir keine Berge mehr überwinden müssen, wollen wir versuchen, die Strecke in zwei Tagen zu fahren.

Zu Beginn geht es dreißig Kilometer bergab, was erstmal kein allzu schlechter Start in einen neuen Fahrradtag ist. Hinter Khashuri wollen wir auf eine Nebenstraße wechseln, die parallel zum Highway bis kurz vor Tiflis verläuft. Unsere Navigationsapp führt uns allerdings schon deutlich vor der Stadt vom Highway runter, was uns ein bisschen überrascht, weil uns unser Host in Khashuri gesagt hatte, dass wir erst hinter der Stadt auf die Nebenstraße kommen.

Nach ein paar Kilometern voller Schotter, Schlaglöcher und gefrorener Pfützen werden wir über den Fluss geführt, der zwischen Haupt- und Nebenstraße verläuft, und stellen fest, dass unsere App einen Weg zu kennen scheint, der uns unter dem Schnee und Gestrüpp jetzt nicht unbedingt auf den ersten Blick aufgefallen wäre.

Weil hier absolut kein Durchkommen ist, kehren wir um und nehmen auf dem Weg zurück zum Highway noch eine gefrorene Pfütze mit, die für etwas farbliche Abwechslung auf Hose und Jacke sorgt.

Hinter Khashuri erreichen wir dann wie geplant die Nebenstraße und fahren ganz gemütlich durch Dörfer und Felder. Den ganzen Tag über werden wir von einer Schneeregenfront verfolgt, die uns im Laufe des Nachmittags immer dichter auf die Pelle rückt. 

Uns wird an diesem Tag endgültig bewusst, dass es an der Zeit ist, einen Fahrradladen zu erreichen, der uns Gangschaltung und Kette austauschen kann, denn mittlerweile sind bei Anika die vorderen Kettenringe so dermaßen abgenutzt, dass die Kette ständig vom mittleren Kettenring abspringt, sobald mal etwas mehr Druck nötig wird. Das ist nicht nur nervig, sondern kann im Straßenverkehr auch schnell mal gefährlich werden.

Gori und Stalin

Am Abend erreichen wir die Stadt Gori, die nur deshalb bekannt ist, weil Joseph Stalin hier geboren wurde und man ihm im Stadtzentrum ein Museum gewidmet hat. Die Stadt selbst versteckt ihren Charme hinter den Fassaden der Plattenbauten, die die Stalin Avenue säumen, liegt für uns aber ziemliche praktisch auf halbem Wege nach Tiflis und ist daher das Ziel für die Nacht. 

Weil es zum Zelten leider immer noch zu kalt und nass ist, kehren wir in einem kleinen Gasthaus ein, das von einem mittelalten Ehepaar betrieben wird. Muddi wartet schon am Fenster auf uns und Vaddi kommt später mit zwei dicken Ordnern in die Küche, um uns in die Freizeitaktivitäten der Gegend einzuführen. Nachdem wir ihm eröffnet haben, dass wir Gori schon kennen und am nächsten Tag direkt nach Tiflis weiterfahren wollen, zieht er ein wenig enttäuscht und erleichtert von dannen und widmet sich dem Solitär-Spiel auf dem Computer im Nebenzimmer.

Wir unterhalten uns daraufhin mit seiner Frau und fragen, was die Menschen in Gori über das Stalin-Museum denken. Auf einer früheren Georgien-Reise haben wir das Museum bereits besucht und wissen daher, dass es Stalin von vorn bis hinten glorifiziert, kein Wort über die Millionen Menschen verliert, die er getötet hat, und am Ende sogar einen Fanshop hat, in dem man Tassen mit seinem Gesicht kaufen kann.

Stalin als Persönlichkeit findet unsere Gastgeberin nicht besonders ansprechend – sie erzählt uns von ihrem Großvater, der im Gulag starb. Dennoch ist die Familie, wie viele andere Menschen hier auch, auf das Stalin-Museum angewiesen, denn Gori hat rein gar nichts zu bieten, was sonst noch Touristen anlocken könnte. Die Familie betreibt das Gasthaus bereits im fünften Jahr, hat in den drei Räumen Menschen aus über achtzig Ländern beherbergt und hatte insgesamt nur drei Gäste, die nicht ins Museum gegangen sind.

„In Gori bleibt der Schnee nicht liegen.“

Weil die Temperaturen über Nacht deutlich unter Null Grad sinken werden, sollen wir aufpassen, dass der Wasserhahn in unserem Bad immer ein bisschen läuft, damit die Leitungen nicht einfrieren. Ansonsten sollen wir uns aber keine Sorgen machen, sagt unsere Gastgeberin, denn in Gori schneit es nur selten, und wenn doch, dann bleibt der Schnee nicht liegen. Daher sind wir am nächsten Morgen doch etwas über die stattliche Schneedecke auf Straßen, Gehwegen und der Wäscheleine überrascht.

Nachdem wir Gori verlassen haben, nutzen wir die Gunst der Stunde, veranstalten eine Schneeballschlacht im frischen Schnee und bauen uns einen Schneemann. Und während wir gerade dabei sind, die mittlere Kugel in Form zu bringen, sehen wir drei andere Radfahrer auf der Straße, die in die gleiche Richtung unterwegs sind wie wir. Wir unterhalten uns kurz und verabreden uns lose auf dem weiteren Weg nach Tiflis, denn die drei wollen weiter fahren, während wir unbedingt noch unserem Schneemann einen Kopf geben wollen.

Wir treffen die drei wenig später an einer kleinen Bäckerei mitten im Nichts wieder, wo sie sich durch das komplette Angebot essen, was wir ihnen gern gleichtun. In Georgien ist es unglaublich einfach und günstig, fett zu werden, denn überall werden gefüllte Teigtaschen für wenige Lari angeboten. Und obwohl man selten vorher weiß, was man da eigentlich bekommt, ist es fast immer verboten lecker. 

Zwei Lektionen und ein Fluss ohne Brücke

Unsere drei Begleiter für den Rest des Tages sind Ashley aus den USA, ihr Freund Quentin aus Frankreich und dessen alter Schulfreund Antoine. Ashley und Quentin sind schon länger als ein Jahr unterwegs und gerade auf dem Weg nach Bishkek, wo sie die Fahrräder für ein paar Monate gegen Pferde eintauschen und in Richtung Tadschikistan reiten wollen.

An diesem Tag lernen wir zwei wichtige Lektionen für unsere weitere Reise: 

  1. Wenn man beim Bergauffahren singt, ist der Anstieg viel weniger lang und steil.
  2. Wenn man mit den wilden kläffenden Straßenhunde spricht als wären sie Babys, sind sie meist so verwirrt, dass sie weggehen.

Nachdem wir irgendeinen der zahlreichen kleinen Orte in der georgischen Pampa über eine Nebenstraße verlassen haben, die mit Schlaglöchern statt Asphalt bedeckt ist, stehen wir vor einem Fluss ohne Brücke und müssen zugeben, dass dieses Hindernis auf einem Pferd wahrscheinlich einfacher zu überwinden gewesen wäre. 

Weil umkehren wie immer keine Lösung ist, suchen wir nach Möglichkeiten, den Fluss zu durchqueren, denn besonders tief ist er nicht. Ashley und Quentin entscheiden sich für die Variante „Augen zu und durch“ und brettern geradewegs durch den Fluss. Denis und Antoine finden flussabwärts eine flache Stelle, an der sie trockenen Fußes, aber mit riesigem Kraftaufwand ans andere Ufer kommen. Und Anika klemmt Socken und Schuhe auf die Hecktasche und schiebt gemütlich durch das Wasser, das überraschend warm ist. 

Zugfahren auf Georgisch

In Mtskheta [Das ist kein Schreibfehler, sondern der letzte Ort vor Tiflis.] wollen unsere drei Begleiter auf den Zug umsteigen, um sich die Fahrt über den Highway zu ersparen. Und weil wir auch keine Fans von Hauptverkehrsstraßen sind, wollen wir uns anschließen. Das Problem ist: keiner weiß genau, wann und wo der Zug abfährt und ob er überhaupt Kapazitäten für fünf vollgeladene Fahrräder hat. 

Die Nachfragen bei fünf verschiedenen Personen im Umfeld des Bahnhofs ergeben ungefähr sieben verschiedene Auskünfte zu Abfahrtszeiten und -orten. Einer sagt, es fährt gar kein Zug. Jemand anderes meint, er würde woanders abfahren, weil hier gerade Bauarbeiten stattfinden. Noch einer sagt, wir sollen auf der anderen Bahnsteigseite fragen, aber dort weiß man noch weniger.

Am Ende geben wir uns unserem Schicksal geschlagen, schalten das Licht am Fahrrad ein und fahren auf den Highway. Wie erwartet ist es laut, eng und macht wenig Spaß. Eine Kreuzung mit etwa zwölf Spuren pro Richtung können wir nur mithilfe eines Verkehrspolizisten überqueren, dessen Job es ist, den Ampelsignalen Nachdruck zu verleihen. Aber am Ende kommen wir heil in die Stadt, verabschieden uns von den drei anderen Radfahrern und erreichen unser Hostel kurz bevor es dunkel wird.

Unser Plan ist es, für ein paar Tage in der Stadt zu bleiben, um unsere Gangschaltungen austauschen zu lassen, und anschließend schnellstmöglich weiter zu fahren. Am Ende werden wir zwei Wochen in der Stadt ausharren, weil das alles nicht so einfach ist wie wir dachten. Aber dazu mehr im nächsten Beitrag.

Ein paar Daten

  • Kilometerstand: 10.385 km
  • Streckenverlauf: Khashuri – Borjomi – Bakuriani – Borjomi – Gori – Tiflis
  • Übernachtungen: 2 x Privatzimmer, 1 x Hostel, 1 x Gästehaus
  • Zeitraum: 9. – 13. Februar 2020
  • Folgt Michèle und Silvan aus der Schweiz auf Instagram
  • Oder Ashley & Quentin oder Antoine

In eigener Sache

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Von Anika

Irgendwas mit Fahrradfahren.

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