Deutschland II – Ostwärts nach Westen …oder so

Nachdem wir pandemiebedingt eine unerwartet lange Pause in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku eingelegt und nach vier Monaten des Wartens endgültig eingesehen haben, dass es für uns an dieser Stelle vorerst nicht weiter gehen wird, geben wir uns geschlagen und buchen einen der ersten möglichen Flüge gen Westen. Alle Flugverbindungen sind im April auf unbestimmte Zeit ausgesetzt worden und werden ab Anfang Juli Stück für Stück wieder aufgenommen. Das erste international erreichbare Ziel ist Istanbul, womit wir durchaus leben können, denn die Stadt liegt für uns stategisch gar nicht schlecht.

Als wir den Flug für den 9. Juli buchen, steht für uns aber noch gar nicht fest, wo wir genau weiter radeln werden. Unser Ziel ist erstmal die EU, das Land eigentlich egal, denn in Europa kann man sich mittlerweile wieder relativ frei bewegen. Am liebsten würden wir von Istanbul aus mit dem Fahrrad nach Griechenland oder Bulgarien fahren, aber das fällt aus, weil beide Länder die Landgrenzen weiterhin geschlossen halten.

Bleibt uns also nur ein Anschlussflug als einzige Option. Wir liebäugeln lange mit Kroatien, entscheiden uns aber dagegen, weil hier die Corona-Zahlen langsam wieder ansteigen und Slowenien als erstes Land bereits wieder die Grenze geschlossen. Das letzte, was wir wollen, ist wieder in einem Land festzusitzen. 

Weil fast alle Länder nur ihre eigenen Staatsbürger aus Drittländern wie der Türkei einreisen lassen, bleibt uns am Ende nicht viel anderes übrig als einen Flug  nach Deutschland zu buchen. Bei weitem nicht unser Wunschziel [Wer will nach mehr als einem Jahr auf dem Fahrrad innerhalb von zwei Tagen wieder an seinem Ausgangspunkt ankommen?], aber die einfachste und einzig sinnvolle Variante, um möglichst schnell wieder aufs Rad steigen zu können. Ein paar Tage vor der Abreise buchen wir also einen Anschlussflug nach München.

Im Zuge der Entscheidung zur vorläufigen Rückkehr nach Europa ändern wir unser Logo von ursprünglich „Ostwärts nach Westen“ in „Ostwärts nach Westen …oder so“, weil wir das Gefühl haben, dass das nun etwas besser zu unserer Route passt – wie auch immer diese am Ende aussehen mag.

Test, Test, Test

Um den Flughafen von Baku überhaupt betreten zu dürfen, müssen wir einen negativen Corona-Test vorlegen. Das gesamte Flughafenpersonal hält sich penibel an alle Vorschriften, wir müssen durch einen Desinfektionstunnel am Eingang laufen, gefühlt alle hundert Meter die Hände desinfizieren und bekommen Schutzsets mit Maske und Desinfektionsgel ausgehändigt. Im Flugzeug tragen die Stewardessen sogar Ganzkörperanzüge und Latexhandschuhe.

Und weil es so ein schönes Gefühl war als die Krankenschwester in Baku uns die Teststäbchen durch die Nase ins Gehirn gebohrt hat, wiederholen wir den Corona-Test kurzerhand am Istanbuler Flughafen. Na ja, vielleicht auch, um bei der Einreise in Deutschland ein negatives Testergebnis vorweisen zu können, das nicht älter ist als 48 Stunden. [Dass sich weder im Krankenhaus in Baku noch am Istanbuler Flughafen irgendwer an Abstandsregeln hält und kaum jemand eine Maske trägt, müssen wir an dieser Stelle nicht gesondert erwähnen,  oder?]

Bei der Passkontrolle in München interessiert sich schließlich niemand für unsere Corona-Tests, die Blätter mit den Testergebnissen werden irritiert zurück durchs Fenster gereicht. Das Formular zur Kontaktnachverfolgung, das wir im Flugzeug haben ausfüllen müssen, will auch niemand sehen. Einem anderen Passagier wird auf Nachfrage vom Grenzbeamten gesagt, dass er es am Schalter der Airline abgeben könnte, wenn er wolle. Einige Stunden nach uns kommt eine Maschine aus Weißrussland an, wo Corona laut präsidialem Dekret gar nicht extistiert, weshalb dort keinerlei Hygienemaßnahmen umgesetzt werden. Die Diskussion über importierte Corona-Fälle durch Reiserückkehrer wird in Deutschland erst geführt werden als wir das Land längst wieder verlassen haben. 

Radwege

Die ersten Stunden zurück in Deutschland verbringen wir damit, unsere Fahrräder zusammen zu puzzeln. Wir hatten sie zuvor in hundert Einzelteile zerlegen müssen, um sie in die etwas zu klein geratenen Kartons zu bekommen. Nach vier Stunden, einer blockierten Achse und einem geplatzten Reifen sind die Räder wieder einsatzbereit, die Taschen irgendwie gepackt und die Nerven zum Zerreißen gespannt. Um dem entgegen zu wirken, machen wir erstmal das, was immer und überall gegen schlechte Laune hilft: essen. Und siehe da, danach haben wir sogar Lust aufs Radfahren.

Unsere ersten Kilometer auf deutschem Boden legen wir auf dem Flughafen-Radweg zurück. Ein echter Radweg nur für Radfahrer. Wie lange ist das denn bitteschön her? Und die Tatsache, dass es einen Radweg um einen Flughafen herum gibt, ist auch so wunderbar deutsch. In Baku verkürzen sich die Fahrradkuriere die Lenker, um besser zwischen den Autos im Stau manövrieren zu können. In München macht man am Wochenende einen Familienausflug mit dem Fahrrad zum Flughafen.

Über weitere Radwege geht es dann in Richtung Erding an einem kleinen Fluss entlang, in dessen Umgebung alles so schön grün ist und nach Sommer riecht. Wir haben uns noch lange nicht vom Flughafen und dem angeschlossenen Gewerbegebiet entfernt, fühlen uns aber wie mitten in der Natur. Der Sommer in Baku war bisher vor allem trocken und heiß.

Betreten verboten!

In den nächsten Stunden werden uns einige Dinge bewusst, die uns so in Deutschland nie aufgefallen sind, weil sie immer selbstverständlich waren. Nachdem wir nun aber mehr als ein Jahr in verschiedenen Ländern und Kulturen zu Gast waren, sind wir wohl diesbezüglich etwas aufmerksamer geworden. Hier die Top fünf:

  • Es gibt Trinkwasser aus der Leitung. [Eine Selbstverständlichkeit in Europa, die eigentlich absoluter Luxus ist.]
  • Verbotsschilder für alle Lebenslagen – immer und überall [Privatgrundstück! Betreten verboten! Eltern haften für ihre Kinder! Unser Garten ist kein Hundeklo! Falschparker werden kostenpflichtig abgeschleppt! Mecker, mecker, mecker!]
  • Überall wird Rasen gemäht. [Was sollen denn die Schafe und Ziegen fressen?]
  • Ein überteuertes, schlechtes Mobilfunknetz [Im Durchschnitt haben wir mit Prepaid-Karten im Ausland etwa einen Euro pro Gigabyte bezahlt. In Deutschland kostet das Starterpaket das fünffache und ist außerorts so gut wie nie verfügbar.]
  • Menschen auf der Straße verstehen und von ihnen verstanden werden [Ohne Mist, es ist unglaublich entspannt, wenn man nicht versteht, worüber sich die Menschen um einen herum unterhalten und beschweren. Und es macht vieles leichter, wenn man sich unterhalten kann, ohne verstanden zu werden.]

Willkommen zurück!

Irgendwo an der Isar geraten wir am Nachmittag in einen Sommerregen wie aus dem Bilderbuch, über den wir uns in Baku sicher richtig gefreut hätten. Nun, hier in Bayern, mit den Regenjacken irgendwo im Gewirr der ungeordneten Taschen und ohne Schutzdach sieht das ein wenig anders aus.

Wir suchen uns schließlich ein einigermaßen bezahlbares Gasthaus in der Nähe und als wir dort ankommen, strahlt die Sonne aus voller Kraft. Ein paar andere Hotelgäste, die gerade trocken aus einem Taxi steigen, fragen uns, warum wir denn von Kopf bis Fuß durchnässt wären. Ob es denn geregnet hätte. Ach ja, wie schön war es doch als man die meisten Leute einfach nicht verstanden hat.

Wir hatten sowieso vorgehabt, zu Beginn einen Tag Pause einzulegen, um unsere Sachen zu sortieren. Für den Flug und anschließend am Flughafen hatten wir nach dem Prinzip „Muss irgendwie passen“ gepackt, in unserem Radfahreralltag ist die Aufteilung unseres Gepäcks aber eine Wissenschaft für sich. Es gilt also, die Ordnung so anpassen, dass niemand in Schieflage gerät und die Verteilung gleichzeitig noch sinnvoll ist. 

Nun ergibt es sich aber, dass wir uns damit gar nicht beeilen müssen, denn wir bleiben außerplanmäßig etwas länger in unserem Gasthaus, weil wir krank werden. Über ein Jahr waren wir in der Weltgeschichte unterwegs, haben meist draußen geschlafen, eine ganze Menge fragwürdiger Dinge gegessen und mussten noch keinen Tag aufgrund einer Erkrankung pausieren. Und nach ein paar Stunden in Deutschland liegen wir mit Fieber und Schüttelfrost im Bett. Willkommen zurück!

Wir wechseln uns in den nächsten Tagen damit ab, dem anderen Wadenwickel anzulegen, denn es wechselt auch täglich, wer sich besser und wer sich schlechter fühlt. Wir führen die Krankheit aber nicht in erster Linie auf Deutschland zurück, sondern eher darauf, dass wir uns fast zwei Tage am Stück in Flughäfen und Flugzeugen mit ihrer künstlich aufbereiteten, trockenen Luft aufgehalten haben, was gar nicht gesund sein kann.

Bayern im Schnelldurchlauf

Als wir dann beide gleichzeitig wieder fit sind, brechen wir an einem sonnigen Tag auf. Unsere Route führt uns auf dem kürzesten Weg nach Österreich – weil wir uns erstmal außerhalb Deutschlands an Europa gewöhnen wollen und weil unsere Krankenversicherung zwar die meisten Länder der Welt abdeckt, den Versicherungsschutz im Heimatland aber stark limitiert.

Wir genießen den sonnigen Tag auf den Radwegen Bayerns, freuen uns über Berge, Flüsse und kleine Orte voller Fachwerkhäuser und finden am Abend ein verstecktes Plätzchen auf einem bereits abgeernteten Feld. 

Mit dem Sonnenschein ist es dann am zweiten Tag allerdings bereits vorbei, weshalb wir uns in Wasserburg und am Chiemsee dann halt einfach vorstellen, wie schön es dort ohne grauen Himmel und Nieselregen ist.

Zwischendurch werden wir natürlich auch nochmal von einem Sommerregen überrascht, können uns dieses Mal aber noch rechtzeitig in eine alte Bushaltestelle retten. Und wenn man dabei nicht bis auf den Schlüpper eingeweicht wird, macht so ein Starkregenschauer auch mal Spaß.

„Das ist hier aber verboten!“

An einem verregneten Abend sind wir im Naturschutzgebiet Eggstätt-Hemhofer Seenplatte unterwegs und beschließen spontan, in der kleinen Holzhütte an einem der Seen zu übernachten, weil wir uns dort ein wenig Regenschutz erhoffen. Wir wissen, dass das Campen im Naturschutzgebiet verboten ist, aber mal ehrlich: das Wildcampen ist in Deutschland sowieso fast nirgendwo erlaubt und da wir in der Holzhütte übernachten wollen und sowieso nie Müll zurücklassen, nehmen wir keinen negativen Einfluss auf die Natur.

Und da es schon seit einiger Zeit regnet, die Prognose kein Ende des Regens in Aussicht stellt und der nächste Tag ein Werktag ist, erwarten wir auch nicht, dass hier – mitten im Wald – noch jemand auftaucht und uns erwischt. Aber wie das mit Voraussagen und Prognosen nun mal so ist, endet der Regen als das Zelt steht und kommen die Menschen an den See zum Joggen, Schwimmen und Wandern. Und um uns darauf hinzuweisen, dass das Campen hier nicht gestattet ist. “Das ist hier aber verboten!” ist wohl der Satz, den wir in Deutschland am häufigsten hören. Schon praktisch, dass es neben den ganzen unbeweglichen Verbotsschildern an jeder Ecke noch so viele Millionen freilaufende Exemplare gibt.

Am stärksten regt sich einer von zwei Anglern auf, die sich diese Nacht zum Nachtangeln ausgesucht haben und genervt sind, dass wir mit unserem Zelt die Hütte belegen. [Ehrlich, hätten wir gewusst, wie stark der See frequentiert ist, hätten wir nicht mal daran gedacht, dort zu übernachten.] Er meckert und pöbelt herum und redet scheinheilig vom Naturschutz. Die Zigarettenkippen und Kronkorken der beiden, die wir am nächsten Morgen einsammeln und mitnehmen, fallen wohl nicht in das Thema „Naturschutz“.

Regen, Sonne, Österreich

Weil wir uns am nächsten Abend diesen Stress nicht noch einmal geben wollen, suchen wir sehr lange im Regen nach einem vollkommen sichtgeschützten und versteckten Platz und stellen fest, dass man in Deutschland einfach nirgendwo allein ist. Nach einer ewigen Suche stellen wir das Zelt in eine sichtgeschützte Kurve zwischen einem Feld und einem Wald und sind schon von Kopf bis Fuß durchnässt als wir hineingehen. Und weil wir auf sehr hohem nassen Gras stehen, dauert es nicht lange bis der Zeltboden aufgeweicht ist.

Am nächsten Morgen sind auch Isomatten und Schlafsäcke nass und werden erstmal vorsorglich in Plastiktüten verstaut, um den trockenen Teil unseres Gepäcks zu schützen. Glücklicherweise scheint die Sonne als wir uns zum Frühstück an eine kleine Kapelle auf einem Hügel mit Blick auf den Tachinger See niederlassen. Wir bleiben so lange dort bis alles getrocknet ist, was bedeutet, dass wir dort so viel Zeit verbringen, dass wir Freundschaft mit den Kühen aus der Nachbarschaft schließen, mit zwei Wanderern ins Gespräch kommen und sogar noch ein zweites Frühstück zubereiten.

Nicht allzu viele Kilometer später endet unser zweites Deutschlandkapitel auf einer Brücke über die Saalach, über die wir nach Österreich reisen. Diese Brücke bildet bei Freilassing die Grenze zwischen Deutschland und Österreich und der einzige Hinweis darauf, dass wir das Land verlassen, ist ein kleines Metallschild mit den Buchstaben Ö und D in der Mitte der Brücke. Kein Grenzposten, keine Schlangen, keine Grenzkontrollen. Einfach eine Brücke. Wie viel persönliche Freiheit diese Reisefreiheit in der EU bedeutet, vergisst man als Europäer viel zu schnell.

Ein paar Daten

  • Kilometerstand: 11.670 km
  • Strecke: Baku – Istanbul – München – Erding – Wasserburg – Chiemsee (Nordufer) – Taching am See – Freilassing
  • Übernachtungen: 5 x Hotel, 3 x Zelt
  • Zeitraum: 9. – 17. Juli 2020

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Von Anika

Irgendwas mit Fahrradfahren.

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